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Ulvi Karagedik | Ansätze für eine islamische Speiseethik gemäß den islamischen Primärquellen Koran und Hadith
„Sag: In dem, was mir offenbart worden ist, finde ich nichts, das zu es-
sen jemandem verboten wäre, außer Verendetem, ausgeflossenem Blut,
Schweinefleisch – Das ist ein Gräuel oder Frevelhaftes, worüber man an-
deres als Gott angerufen hat. Doch wenn jemand in einer Zwangslage ist,
ohne aufzubegehren und nicht gesetzwidrig – Dein Herr ist voller Ver-
gebung und barmherzig.“ (Koran, 6: 145)
Die zitierten Koranstellen verdeutlichen sehr treffend die Mehrdimensio-
nalität islamischer Speiseregeln zwischen Profanität und Religiosität. So
leuchtet es (aus gesundheitlichen Gründen) ein, kein Fleisch von verende-
ten Tieren zu verspeisen. Die Verbote des Konsums von Schweinefleisch,
Blut oder Götzengaben können aus Sicht des Autors in Kontinuität zu den
biblischen Geboten (etwa in 5 Mose 12,23–25; 3 Mose 17,11–14; Apg 15,20;
15,29) gelesen und somit religiös verstanden werden. Die Speisevorschrif-
ten werden in den prophetischen Überlieferungen weiter ausdifferenziert
und umfassen dort auch das Konsumverbot des Fleisches von Nagern und
Raubtieren (welche ihre Beute mit ihren Krallen reißen) (vgl. Muslim: Ṣayd,
1934; 23; 4752; Abū Dāwūd: ʾaṭʿima, 3805; 70; 3796).
Der Islam („sich Gott hingeben“) ist in diesem Zusammenhang nicht als
Begriff zu verstehen, der genuin für die koranische Botschaft steht, son-
dern explizit die Kontinuität zu den Offenbarungsverkündigungen früherer
Propheten wahrt (vgl. Koran, 10: 90; 7: 157 oder 3: 84). Deswegen verwun-
dert es auch nicht, dass der Koran auch Bezug auf etablierte Speiserege-
lungen nimmt, diese zum Teil fortführt sowie den Verzehr von Fleisch ge-
währt, das durch Juden und Christen (unter Wahrung der jeweils eigenen
Schächtregeln) geschlachtet wurde (vgl. Baktı 2015; Koran, 5: 5). Gleiches
gilt für den Verzehr anderer Produkte, welche die Schlachtung von Tieren
erfordern, wie beispielsweise von Gelatine, Käseprodukten mit tierischem
Lab oder Lebensmittelfarbe (vgl. Binti Hazahari 2018). Andererseits wer-
den Speisevorschriften wie das Schweinefleischverbot auch mit modernen
wissenschaftlichen Begründungsversuchen gesundheitlicher Negativfol-
gen ausgelegt (vgl. Reckeweg 1977). Folgt man derartigen Analogien, sollte
es aber ebenso schlüssig sein, dass der Verzehr anderer gesundheitsschäd-
licher Fleischprodukte (etwa von antibiotikabelastetem, keimresistentem
Geflügelfleisch) als religiös problematisch gewertet wird, auch wenn diese
ḥalāl-zertifiziert sind.
Kontinuität zu den Offenbarungsverkündigungen früherer Propheten
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven