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Claudia D. Bergmann | Allein am Tisch?
Nilinsel Elephantine. Etwa dreihundert Jahre vor der Zeitenwende entstand
dann auch eine große Diasporagemeinde im ägyptischen Alexandria. Das
Leben in der Diaspora setzte sich fort, und bis heute sind Menschen, die
sich selbst als Jüdinnen und Juden definieren, auf der ganzen Welt verteilt.
Die Schaffung einer jüdischen Identität wurde daher in Zeiten des Exils und
aufgrund andauernder Diasporaerfahrungen besonders wichtig. Diese Aus-
bildung von Identität geschah durch das Wiedererzählen von Geschichte,
die Etablierung einer Ahnenlinie und die Ausarbeitung religiöser Schriften
sowie deren Kanonisierung. Gleichermaßen entstanden Gesetze und Ritu-
ale, die das Distinkte am Jüdischsein betonten, auch und gerade in seiner
Andersartigkeit den Umgebungskulturen und -religionen gegenüber.
Einige dieser Rituale, die heute typischerweise als „jüdisch“ verstanden
werden, wie die Einhaltung des Sabbats, die Beschneidung oder auch die
koschere Lebensweise, nahmen aber erst in makkabäischer Zeit eine feste
Gestalt an. Gerade damals, als man sich des Hellenismus erwehren muss-
te, der auch für viele Jüdinnen und Juden interessant und attraktiv war,
als politische und religiöse Machthaber wechselten oder große Schwäche
zeigten, als Gymnasien errichtet wurden und der Tempel zeitweise ent-
weiht war, wurden die jüdischen Speisegesetze wesentlicher Bestandteil
der jüdischen Lebensweise und setzte man sich mit der Frage nach „eige-
nen“ und „fremden“ Speisen auseinander (siehe dazu auch Collins 1993;
MacDonald 2008). Vor allem im Machtvakuum zwischen den hellenistisch
geprägten Seleukiden und den toratreuen Makkabäern im 2. Jahrhundert
v. u. Z. standen sich hellenistische und jüdische Lebensweise am gleichen
Ort gegenüber, oder eher, sie standen konkurrierend nebeneinander.
Jüdische Versuche, auf den Schlachtfeldern der Weltgeschichte im Mit-
telmeerraum unabhängig zu werden, wie sie unter dem Hohepriester Si-
mon unternommen wurden, kamen mit dem Einmarsch der Römer 64–63
v. u. Z. zu einem Ende. Politisch und religiös war auch die Periode um die
Zeitenwende von Krisen und Brüchen geprägt. Das zentrale Heiligtum
wurde entweiht, neu eingeweiht, später zerstört, religiöse Gemeinschaft
gewaltsam aufgelöst. Infrage standen damit wieder und andauernd alle ge-
sellschaftlichen und religiösen Lebensentwürfe derer, die sich in diesem
Gebiet zu Hause fühlten. Die jüdische Identität unter römischer Vorherr-
Die Schaffung einer jüdischen Identität wurde
in Zeiten des Exils besonders wichtig.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven