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Claudia D. Bergmann | Allein am Tisch?
„Dann wird er reine Gesinnung den Menschen erzeugen, machen dein
Geschlecht, wie’s war zuvor. Nicht mehr wird man die Scholl’ in der Tiefe
auflockern mit Krummpflug; nicht mehr pflĂĽgen die Stiere mit gradege-
richtetem Eisen. Reben und Ähren gibt es nicht mehr, sondern alle wer-
den dann tauiges Manna mit weißen Zähnen essen. Dann wird auch Gott
selbst sein unter ihnen, er wird sie belehren, wie mich Unglücksel’ge.“9
Ein nur wenige Zeilen zählendes Textfragment, dass ebenfalls den Sibylli-
nischen Weissagungen zuzurechnen ist, enthält letzteren Gedanken eben-
falls, erwähnt zudem aber noch den Paradiesgarten und die Voraussetzung
fĂĽr den Zugang zur Kommenden Welt (Frg. III,46-49):
„46 Diejenigen aber, die den wahren und ewigen Gott ehren, 47 erben das
Leben, bewohnen ewig 48 den blĂĽhenden Garten des Paradieses 49 und
essen süßes Brot vom gestirnten Himmel.“ (Merkel 1998, 1140)
Schlaraffenlandartige Beschreibungen wie diese gibt es in der Antike und
darĂĽber hinaus einige, so u. a. in der 4. Ekloge Vergils, aber in dieser Passa-
ge flieĂźen auch deutlich Gedanken aus der jĂĽdischen Vorstellungswelt von
der Endzeit mit ein, ist es doch (wie in 2 Bar 29) das „tauige Manna“, was
verzehrt wird. Neben einem sorgenfreien Leben ohne MĂĽhe und der daraus
resultierenden Langlebigkeit und Gesundheit, die mit der Notiz von den
weißen Zähnen untermalt wird, ist es also die fantastische Speise, die die
Menschen in der Zukunft erfreuen wird.
Fazit: Die imaginierte Kommende Welt als Erlebensraum
des frĂĽhjĂĽdischen Rituals
In den hier aufgefĂĽhrten Beispieltexten wird die Kommende Welt zu einem
Raum, in dem gemeinschaftliches Speisen gedanklich und literarisch mög-
lich ist, selbst wenn die gesellschaftlichen und religiösen Umstände in den
Jahrhunderten um die Zeitenwende jĂĽdischem Mahlhalten nicht immer zu-
träglich waren. Von der Apokalyptik beeinflusste Autoren fanden also einen
imaginierten Ort (die Kommende Welt auf dem Berg Gottes,10 im Paradies11
oder in einem oft universal angelegten Garten12), an dem imaginierte Spei-
sende (die Gerechten und historisch bedeutsame Gäste13) beieinander sitzen
und imaginierte Speisen (Leviathan und Behemoth14, FrĂĽchte vom Baum
des Lebens15, Manna16) in Freude und Eintracht miteinander verzehren.
In den frĂĽhjĂĽdischen Texten vom Mahl in der Kommenden Welt werden Es-
sen und Trinken Symbole des ersehnten und verheiĂźenen Lebens schlecht-
9 Die Ăśbersetzung lehnt sich an
Gauger 1998, 168–169, und Collins
1983, 413, an.
10 1 Hen 24,1–2; 25,3–5; 4Q 504
Frg. 2 iv,2–14.
11 TestLev 18,10–11; 3 Hen 8,1–9,1;
42,3–5; 4 Esr 8,50–53; 9,17b–22;
HistRech 7,10–11; ApkAbraham
21,4–9; ApkMose.
12 2 Bar 29,1–8; 1 Hen 10,16–11,2;
60,7–8.20–23; 4QPsf 9,8–14.
13 Der Messias in einer vorberei-
tenden Rolle beim Mahl: ApkElia
39; Sefer Elijahu, TestLevi 18,1–14;
4Q 521 Frg. 2 ii; 1QSa 2,11–22. Der
Messias in einer beobachtenden
Rolle beim Mahl: 2 Bar 29,3–4; 4Q
504 Frg. 2 iv,5–14. Der Messias als
Mitspeisender: 1 Hen 62,1–16; 3 Hen
70. Adam und die Vorfahren: 2 Hen
42; 1 Hen 6. Die „Väter des Exodus:
ApkZosimus 13. Abraham, Isaak und
Jakob: TestLevi 18; TestJak 7.
14 2 Bar 29,3–4; 1 Hen 60,7–9.24; 4
Esr 6,49–52.
15 1 Hen 24–25; TestLev 18,10–14;
TestJak 7,23–28; ApkElia 38,14–39;
ApkMose; 2 Hen 8–9; 4 Esr 8,52;
1QH 16,4–7, PsSal 14,3–4.
16 2 Bar 29,8; Visio Beati Esdrae 59
Manuskripte L und H; ApkZosimus
13,2.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven