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Dilek Bozkaya und Alfred Garcia Sobreira-Majer | Interreligiöses Lernen am Buffet
daher nicht nur auf die Erfahrung mit einzelnen Elementen (Verkostung
von Speisen etc.) beschränken, sondern das Miterleben religiöser Rituale
bzw. Feiern mit diesen Elementen ermöglichen und fördern. Das gilt im
höchsten Grad für Brot und Wein in der Abendmahlsfeier, aber etwa auch
für die Verteilung von gesegnetem Lokma. Das Miterleben eines Abend-
mahlgottesdienstes (einer Messe, einer Göttlichen Liturgie) oder die Teil-
nahme an einer Cem-Zeremonie kann erst die tiefere Bedeutung von Brot
(und Wein) in der jeweiligen Religion sichtbar und verständlich machen.
Interreligiöses Lernen anhand von Speisen aus religiösen Traditionen hat
dort seine Grenze, wo ein solcher Gebrauch – nach Empfinden der Ange-
hörigen der jeweiligen Religion – die Speisen „entweihen“ würde. Gerade
weil sie den Gläubigen kostbar sind, lassen sie sich nicht einfach an Außen-
stehende verkosten. Diese Form des interreligiösen Lernens setzt Respekt
vor der religiösen Tradition und Religiosität der anderen voraus. Dabei ist
zu bedenken, dass die Konzepte von Profanisierung und Sakralität in den
Religionen und Konfessionen unterschiedlich sind.
Interreligiöses Lernen anhand von Speisen aus religiösen Traditionen
macht auch bewusst, was mit Rücksicht auf religiöse Speisegebote nicht
gekostet oder verkostet werden kann. Nicht alle dürfen alles essen, z. B.
Schweinefleisch (Judentum, Islam) oder Milchiges und Fleischiges zu-
sammen (Judentum). Auch diese „Leerstellen“ können Anlässe für inter-
religiöses Lernen sein, wenn sie entsprechend didaktisch genutzt werden.
Ein interreligiöses Buffet für alle setzt eine reflektierte Vorbereitung und
Gestaltung voraus. Es verlangt zweierlei: eine geschickte Präsentation der
Speisen, die aus religiösen Traditionen kommen und diese nahebringen
können, und eine religionssensible Berücksichtigung der jeweiligen Spei-
segebote.
Bei interreligiösem Lernen anhand von Speisen aus religiösen Traditio-
nen sollte eines im Bewusstsein bleiben: Essen verbindet und Essen trennt
bzw. hat zu allen Zeiten auch getrennt: zwischen Arm und Reich, zwischen
Rein und Unrein, zwischen Religionen und Kulturen. Die religiösen Speise-
gebote dienten auch zur Unterscheidung zwischen Wir und den Anderen,
und nicht alle können und konnten sich dasselbe leisten. Das Besondere
am Modell des interreligiösen Buffets ist, dass es das Trennende unterläuft
und durch gegenseitiges Verstehenlernen, Rücksichtnehmen und gemein-
sames Essen Verbundenheit ermöglicht und gleichzeitig darstellt.
Essen verbindet und Essen trennt.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven