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Isabelle Jonveaux | Transfers des Fastens
Und weiter:
„In der Fastenzeit kann man auf Fernsehen, Internet, Brot, Wein usw.
oder Schokolade verzichten, was ich 40 Tage lang getan habe. Das ist
nicht einfach, weil ich Schokolade liebe! Aber es ist eine Übung.“
Es gibt die Askese, weil es die Versuchung gibt. Wenn der Zweck der Aske-
se darin besteht, durch Übungen zu lernen, Versuchungen zu widerstehen,
dann ist ein wahres Fasten nur dasjenige, das auf eine wirkliche Versu-
chung antwortet. Aus diesem Grund passen manche Mönche oder Nonnen
das Fasten an, um Nahrungsmittel zu finden, auf die zu verzichten schwie-
riger erscheint. Aus demselben Grund nimmt auch das Internetfasten einen
immer größeren Platz im klösterlichen Leben ein. Ein österreichischer Abt
sagte zum Beispiel, dass er es viel schwieriger finde, auf Fernsehserien zu
verzichten als auf Lebensmittel.
2 Holistisches Heilfasten
Parallel zum Verschwinden des Fastens an den traditionellen Orten der
virtuosen Askese beobachtet man in der Gesellschaft, besonders im holis-
tischen Milieu, neue Formen des Fastens. Das holistische Milieu wird von
Höllinger und Tripold wie folgt definiert:
„Die ganzheitliche Religiosität ist gekennzeichnet durch die Ablösung
des dualistischen theistischen Weltbildes durch ein monistisches oder
homozentrisches Weltbild. Im Mittelpunkt dieser Religiosität steht nicht
die Orientierung an vorgegebenen Routinen und Doktrinen, sondern die
selbstbestimmte Suche nach religiösen Ausdruckformen, die es einem
ermöglichen, das eigene ‚höhere Selbst‘ zu entfalten.“ (Höllinger/Tri-
pold 2012, 15)
Laut Höllinger und Tripold befindet sich das Heilfasten im Schnittfeld
zwischen holistischem Milieu und Wellness-Bewegung (vgl. Höllinger/
Tripold 2012, 107). Das Heilfasten-Konzept wurde von Dr. Otto Buchinger
(1878–1966) in einem ersten Experiment 1919 entwickelt. Man nennt diese
Fastenmethode auch Buchinger-Lützner-Methode, nach dem Namen des
Gründers und seines Schülers Dr. Hellmut Lützner (1928–2020), der sie
Es gibt die Askese, weil es die Versuchung gibt.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven