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Isabelle Jonveaux | Transfers des Fastens
Allerdings bringen diese Aktivitäten auch Praktiken aus anderen spirituel-
len Traditionen ins Kloster. Das Stift Zwettl bietet zum Beispiel „Kloster-
fasten“-Wochen an, die sich als „Fasten nach Buchinger mit Wandern und
Yoga“ definieren. Dazu gehören auch „Reinigende Übungen aus dem Yoga
& Ayurveda & Meditation & Tiefenentspannung“ (vgl. https://www.kloes-
terreich.at/events/klosterfasten-4/ [18.08.2021]). Konfrontiert mit Tradi-
tionen, die nicht zu ihrem religiösen Milieu gehören, entwickeln Klöster
Strategien der Differenzierung und der Distanzierung von Praktiken, die
im Widerspruch zu ihren Werten stehen. Zum Beispiel wollen sich die Ma-
rienschwestern vom Karmel in Linz von anderen Kurorten, unter anderem
von Luxus-Wellness-Hotels, abheben, indem sie betonen, „mehr als Well-
ness“ anzubieten:
„Wir wollen kein Wellness-Betrieb sein, wir wollen wirklich für die
Menschen da sein, also für Körper, Seele und Geist. Es soll nicht bloß ein
Wohlfühlen für den Körper sein, sondern es soll dem Gast rundum gut
gehen, was Seele und Geist miteinschließt. Es ist mehr als Wellness, die
sich bloß auf den Körper konzentriert. Wellness alleine ist uns zu wenig –
wir wollen dem Gast mehr bieten.“ (11.2014)
Diese Distanzierung von Wellness offenbart die Widersprüche, die zum
klösterlichen Leben entstehen können. In Marienkron weigerten sich die
Schwestern etwa, eine Stele mit esoterischen Tugenden aufzustellen. Die
Äbtissin erklärt:
„Wir haben gesagt nein, beide. Also sie mag auch nicht das Esoterische.
Und das ist wichtig, sonst rutscht das ab. Also Wellness-Häuser, das ist
was anderes.“ (10.2011)
Dennoch beobachtet man hier, wie das Wohlbefinden in der katholischen
Praxis einen Platz findet. Nadia Garnoussi, die untersucht hat, wie psycho-
logische Signifikanten in das christlich-spirituelle Feld eingedrungen sind,
stellt fest:
„Als solche sind diese Figuren in Logiken der Neuinterpretation von Re-
ligion und einer christlichen Identität verwickelt, die mit der Kultur des
guten Lebens ‚hier und jetzt‘ und der persönlichen Erfüllung im Einklang
steht.“ (Garnoussi 2013, 64; Übersetzung I. J.)
Strategien der Differenzierung und der Distanzierung
10 Im Original: „À ce titre, ces figu-
res sont engagées dans des logiques
de réinterprétations de la religion
et d’une identité chrétienne qui se
veut en phase avec la culture du
bien-vivre « ici et maintenant » et
de l’épanouissement personnel.“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven