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Isabelle Jonveaux | Transfers des Fastens
nen? Das Fasten, vor allem in seiner quantitativen Form des Nicht- oder
Weniger-Essens, ist aus den meisten klösterlichen Gemeinschaften ver-
schwunden. Ausgehend von dieser Beobachtung versuchen einige Mönche
oder Nonnen, Fastenpraktiken wieder einzuführen. Ein berühmtes Beispiel
dafür ist der Benediktinermönch Adalbert de Vogüé, der als Einsiedler im
Park seiner Abtei versuchte, den Rhythmus nur einer einzigen täglichen
Mahlzeit um 15 Uhr zu leben, wie er in der Benediktinerregel vorgesehen
ist. Er behauptet:
„Aber dieses ‚Fasten‘ [wie er es in den 1970er Jahren in seiner Gemein-
schaft lebte] war kein Fasten, denn Fasten ist nicht, weniger zu essen,
sondern gar nicht zu essen.“ (de Vogüé 1988, 15; Übersetzung I. J.)12
Auch ein belgischer Benediktinermönch erklärte mir in einem Interview,
dass er versuche, den wahren Sinn des Fastens in der Abwesenheit von
Nahrung wiederzufinden:
„Ich habe einige Entdeckungen auf dem Gebiet des Fastens gemacht. Das
Fasten ist auf eine gewisse Nüchternheit reduziert worden, und die Leute
sind dazu gekommen zu sagen, na ja, im Grunde genommen ist Fasten
ein bisschen weniger essen, mäßiger, mit mehr Einfachheit, und so wei-
ter. Mein kleines Experiment ist ganz elementar. Fasten heißt, nicht zu
frühstücken. Wenn ich faste, esse ich nicht zum Frühstück.“ (04.2014)
Dazu ist es aber wichtig zu bemerken, dass der Verzicht auf das Frühstück
in der Benediktinerregel keine asketische Bedeutung hat, da es zu jener Zeit
kein Frühstück in der Gesellschaft gab:
„Die Zahl der Mahlzeiten war in der ausgehenden Antike je nach sozia-
lem Stand sehr unterschiedlich: ‚Reiche nehmen mehrere Mahlzeiten zu
sich, Arme oft nur eine am Tag.‘ (Böckmann) An diesem Vergleich müs-
sen wir die monastische Praxis messen. Sie versucht, die Mitte zu halten:
An Fasttagen (und das waren viele!) gibt es überhaupt nur eine Mahl-
zeit – dann gleicht das Leben der Mönche dem der Armen. An sonsti-
gen Tagen gibt es zwei Mahlzeiten – was bewusst hinter dem Standard
der Reichen zurückbleibt, aber doch deutlich über einem Leben in Armut
liegt.“ (Rosenberger 2012, 183)
12 Im Original: „Mais ce « jeûne »
[vécu dans sa communauté dans
les années 70] n’en était pas un,
car jeûner ne consiste pas à manger
moins, mais à ne point manger du
tout.“ Die Idee, Fasten als Nicht-Essen zu praktizieren,
gewinnt im Klosterleben wieder an Bedeutung.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven