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Isabelle Jonveaux | Transfers des Fastens
Die Idee, Fasten als Nicht-Essen zu praktizieren, gewinnt also im Klosterle-
ben wieder an Bedeutung. Parallel dazu – und auch, um dem Fasten wieder
einen Sinn zu geben – beginnen Mönche und Nonnen, für sich selbst Fasten
nach der Buchinger-Methode zu praktizieren. Ein Benediktiner von Sankt
Paul in Österreich z. B. ließ sich als Fastentrainer ausbilden. Er erklärt:
„Die Fastenzeit, das Fastenopfer zu bringen, das Fasten ist in unserer
Kirche leider sehr veräußerlicht worden oder gesetzmäßig geworden.
Man hat es halt gehalten, weil es verordnet war. Aber die Sinnhaftig-
keit des Fastens in seiner Tiefe ist schwer oder wird schwer verstanden.
Und da, eine Mitarbeiterin der Pfarre und ich, wir haben eine sogenann-
te Fastenleiterausbildung gemacht. Ein Jahr lang war da eine speziel-
le Ausbildung mit einer kleinen Arbeit, die man schreiben musste, und
mit einem Zertifikat, das man bekommen hat. Für mich war Fasten für
einen oder zwei Tage oder so, das war für mich nicht wirklich ein Pro-
blem. Aber so eine ganze Woche in einem System zu fasten, das Fasten
als einen Prozess der Reinigung zu verstehen, als einen Prozess, der der
gesunden Konstitution eines Menschen entgegenkommt, das habe ich
eigentlich vorher nie so gesehen, wie ich es dann durch diese Fasten-
ausbildung verstanden habe. […] Wie es viele Heilige auch sagen, wenn
du zu Gott finden willst, dann beginne etwas für deinen Leib zu tun. […]
Fasten als eine Entrümpelungsaktion möchte ich fast sagen, als ein Frei-
machen, Freiraum schaffen für Gott, aber auch Fasten für ein Freiraum-
schaffen für uns selber und für Gott. Ich denke, das ist ja unser Problem,
dass wir in unseren Tagen die Balance ein bisschen verloren haben. […]
Fasten als eine Hilfe zur richtigen Balance zu finden.“ (02.2015)
Dieser Mönch arbeitet also daran, dem Fasten als Erhebung des Geistes für
und von Gott wieder einen Sinn zu geben. Ausgehend von der Beobachtung
der Entleerung des Sinnes des Fastens im Klosterleben suchte er außerhalb
der klösterlichen und katholischen Tradition die Mittel, um das Fasten neu
zu strukturieren. Seine Legitimität als Fastentrainer kommt aber nicht von
seinem Status als Virtuose der Askese, sondern von einem, von einer sä-
kularen Autorität anerkannten, rationalisierten Prozess des Kompetenz-
erwerbs.
Die Übernahme von aus dem ganzheitlichen Milieu stammenden Prakti-
ken, die eine stärkere Einbeziehung des Körpers erfordern, zeigt ein Be-
dürfnis, dem Fasten wieder einen Sinn zu geben, was auch zeigt, dass die
alten Praktiken tatsächlich ihren Sinn verloren haben.
Dem Fasten wieder einen Sinn geben– auch im Kloster
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven