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Kurt Remele | Ein Fisch namens Jesus
lischen Gegenden und Milieus wurde der Freitag zum „Fischtag“. „Fisch
am Freitag“ wurde zu „einem der bedeutsamsten Merkmale katholischer
Identität“ (Greeley 2004, 137; Übersetzung K. R.), wie der bekannte US-
amerikanische Religionssoziologe Andrew Greeley es treffend ausdrück-
te. Selbstverständlich war kein Katholik und keine Katholikin verpflichtet,
am Freitag Fisch zu essen. Doch gebackener Emmentaler oder Spaghetti al
pomodoro entwickelten sich niemals zu ernsthaften identitätsstiftenden
Konkurrenten für den freitägigen Fisch.
Im Februar 1966 veröffentlichte Papst Paul VI. die Apostolische Konstitu-
tion Paenitemini über eine erneuerte kirchliche Fasten- und Bußdisziplin.
Darin erklärte der Papst, dass es in den Zuständigkeitsbereich von Bi-
schofskonferenzen fiele, „Fasten und Abstinenz ganz oder teilweise durch
andere Formen der Buße zu ersetzen, insbesondere durch Werke der Lie-
be und Frömmigkeitsübungen.“ (Paul VI. 1966) Damit beseitigte Paul VI.
die bisher für die gesamte katholische Kirche verpflichtende allfreitägliche
Fleischabstinenz. Seit Paenitemini sind Fasten und Abstinenz nur für den
Aschermittwoch und Karfreitag vorgeschrieben, wobei es Ausnahmerege-
lungen für Kranke, Junge und Alte gibt. Über sechzigjährige „junge Alte“
etwa sind vom Fasten befreit. Doch trotz der kirchenamtlichen Individu-
alisierung des Freitagsopfers hat sich der „Fisch am Freitag“-Brauch als
katholische Minimalvariante des Pescetarismus bis heute in bestimmten
Regionen und in Milieus als katholisches Identitätsmerkmal erhalten.
Für Katholikinnen und Katholiken ist vor allem der Karfreitag ein stren-
ger Fast- und Abstinenztag, an dem man nur eine volle Mahlzeit zu sich
nehmen darf und an dem traditionell Fische verspeist werden. Man ge-
denkt des qualvollen Todes Jesu. Der qualvolle Tod der Fische bleibt aus-
geblendet. Und doch hängt beides zusammen. Wie genau und welche theo-
logischen und ethischen Folgen sich daraus ergeben, soll in diesem Beitrag
aufgezeigt werden. Dabei muss gleich zu Beginn darauf hingewiesen wer-
den, dass Mitgefühl mit Tieren in der traditionellen christlichen Buß- und
Fastenpraxis keine Rolle spielte:
„Es ist offenbar nicht Ziel [christlicher] Spiritualität, das Leben von Tie-
ren um ihrer selbst willen wertzuschätzen. Der Verzicht auf Fleisch sollte
dem Menschen zu einem tugendhaften Leben verhelfen. Es ging nicht
darum, Mitgefühl mit Tieren zu entwickeln.“ (Frayne 2016, 200; Über-
setzung K. R.)
„Fisch am Freitag“ als Merkmal katholischer Identität
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven