Seite - 14 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Bild der Seite - 14 -
Text der Seite - 14 -
14 Christian Benne
und Sprache“ (Heidegger 1975ff., GA 55, 266) herauslösen, also von einem sub-
jektzentrierten Menschenbild emanzipieren und über den Umweg des légein hin
zum sammelnden und versammelnden Aufnehmen verschieben: „Das eigentli-
che Lesen ist die Sammlung auf das, was ohne unser Wissen einst schon unser
Wesen in den Anspruch genommen hat“ (Heidegger 1975ff., GA 13, 111). Es ist die
Aufbewahrung, in der das Zerstreute wieder zusammengeführt wird (Heidegger
1975ff., GA 55, 267–269). Das wahre Sammeln unterscheidet sich für Heidegger
von dem kritisierten mit anderen Worten dadurch, dass an die Objekte keine
ihnen äußerlichen, rein subjektiven Kriterien herangetragen werden. Im Gegen-
teil tritt der Sammelnde hinter die Sammlung zurück, geht in ihr auf. Logik ist
immer schon eine Sammlung, umgekehrt beruht eine Sammlung auf einer Logik,
die in Wahrheit auf dem Sein aufruht.
Heideggers Einlassungen können in unterschiedliche Richtungen weiterent-
wickelt werden. Durchgesetzt hat sich die Ablehnung der scharfen Trennung zwi-
schen einem nicht näher problematisierten Subjekt und dem allenfalls erkennt-
nistheoretisch problematisierten Objekt, dessen In-der-Welt-Sein dadurch
vernachlässigt wird. Die Sammlung, die von sich selber glaubt, schlichte Anord-
nung einer individuellen Sammelpraxis zu sein, wird zum Emblem einer Eintei-
lung der Welt nach metaphysischen Grundsätzen, die weder philosophischer
Fundamentalkritik noch naturwissenschaftlichen Einsichten standhielte. Nicht
durchgesetzt hat sich, wohl v. a. aus pragmatischen Gründen, die Abschaffung
des Sammlersubjekts, um die es eigentlich ging. Das Sammeln wird demzufolge
theoretisch erst mit den letzten Resten der Moderne obsolet werden, die so lange
unvollendet ist, wie sie noch am Subjekt festhält.
3
Realismusproblem und Materialitätsdebatte:
Welcher Realismus darf es sein?
Heideggers von Modernefeindschaft und Zivilisationskritik getragene Philoso-
phie des Sammelns enthält nicht nur eine allgemeine Subjekt- und Metaphysik-
kritik, sondern notwendigerweise auch eine spezifische Kritik am metaphysi-
schen Realismus. Denn nur ihm lässt sich das naive, vortheoretische Sammeln
zuordnen. Dass Sammlungen allerdings irgendein Verhältnis zum Realismus ent-
wickeln müssen, folgt zwingend schon aus der konstitutiven Rolle der Sammelge-
genstände für jede Sammlung. Doch welche Alternativen gibt es überhaupt zum
metaphysischen Realismus? Der metaphysische Realismus ist jedenfalls, nicht
nur wegen Heidegger und seiner Folgen zumal in den Geisteswissenschaften,
lange die unpopulärste Version des Realismus gewesen; man trifft ihn neuer-
dings freilich dort wieder an, wo der Wunsch, die Geisteswissenschaften auf ein
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik