Seite - 16 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
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16â â Christian Benne
ihre GegenstÀnde primÀr als Resultate epistemischer Ordnungen und kultureller
Praktiken, hat aber den radikalen Konstruktivismus einerseits und traditionelle
subjektzentrierte Positionen andererseits ĂŒberwunden. Ihm sind verschiedene
Strömungen zuzuordnen, die bisweilen unter dem Begriff des Poststrukturalis-
mus zusammengefasst werden. Gegen diesen tritt wiederum der antimetaphysi-
sche Realismus in Erscheinung, der die Renaissance des Realismus nicht zuletzt
als Reaktion auf die postmodernen Entwicklungen im antimetaphysischen Anti-
realismus begrĂŒndet. Zentral ist hier die Heraustrennung der Ontologie aus dem
alten metaphysischen RahmenverstÀndnis, etwa in der Akteur-Netzwerk-Theorie
Bruno Latours oder den (davon z. T. abgeleiteten) Formen des spekulativen Rea-
lismus. Die gegenwÀrtig tonangebenden Strömungen des antimetaphysischen
Realismus treten unter den jeweils programmatisch gemeinten Titeln des âNeuen
Realismusâ bzw. der âObjektorientierten Ontologieâ auf. Beide enthalten jedoch
Elemente, die sie ungeeignet erscheinen lassen, zum tieferen VerstÀndnis der
Logiken der Sammlung Entscheidendes beizutragen.
Der Neue Realismus ist die aus heterogenen Gegenbewegungen zur post-
strukturalistischen Theorie geborene Wiederbelebung insbesondere klassischer
deutscher Positionen, die freilich ausgerechnet den wichtigsten VorlÀufer, der
viele seiner Argumente vorwegnimmt, gÀnzlich ignoriert, nÀmlich den Kritischen
Realismus bzw. die Neue Ontologie Nicolai Hartmanns (vgl. Gabriel 2014).4 Wie
schon Hartmann bekÀmpft der Neue Realismus einerseits einen geistlosen Natu-
ralismus und andererseits einen radikalen Konstruktivismus, die allerdings beide
in Reinform kaum noch vertreten werden und deshalb als bloĂe StrohmĂ€nner
herhalten mĂŒssen. Seine Innovation bestand darin, den Naturalismus nicht mehr
durch den Appell an Sprachspiele, FiktionalitÀt und LiterarizitÀt zu sabotieren,
also durch den Antirealismus, sondern durch eine alternative Form des Realis-
mus, die eben nicht mehr metaphysisch sein soll (vgl. Gabriel 2016, 29, 33â35).
Die Verbindung zwischen Epistemologie und Ontologie leistet in der Variante
Markus Gabriels der Begriff des Sinnfeldes, der gegen die Einseitigkeiten beider
Orientierungen gerichtet ist und von der Abschaffung eines Begriffs der âWeltâ
ausgeht, die es jeweils zu erkennen oder anzuerkennen gebe. Die âWeltâ wird als
Ganzheitsvorstellung all dessen, was existiert, aus dieser Perspektive selbst als
metaphysisch entlarvt und ersetzt durch die âPluralitĂ€t von Sinnfeldern [âŠ] die
4â
Im Grunde wird hier Hartmanns Grundeinsicht variiert, derzufolge die Erkenntnistheorie
nicht Fundamentalphilosophie sein könne, sondern ontologischer Vorarbeit bedĂŒrfe. Schon
Hartmann lehnte in seinen zahlreichen grundlegenden ontologischen Werken den metaphysi-
schen Realismus als eine Art naiven Empirismus ab, ohne sich zugleich gegen die empirischen
Wissenschaften zu wenden.
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik