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Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
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Die kulturpoetische Funktion des Archivs    29 2 When my father died We put him in the ground When my father died It was like a whole library had burned down heißt es in einem Song von Laurie Anderson (1995). Analoge Vergleiche kann man in letzter Zeit auch immer wieder im Feuilleton lesen, wenn darüber reflek- tiert wird, dass die letzten Zeugen einer Generation, die Weltkrieg und Holocaust im erwachsenen Alter erleben musste, allmählich aussterben. Was sie nicht mehr zu Protokoll geben, heißt es, ist für die Nachwelt verloren. Es scheint mir nun kein Zufall, dass das Medium der rettenden Archivierung in solchen Wendungen stets die textuelle Aufzeichnung ist: die Akten, die Biblio- thek. Auch wenn die Archivierungsprojekte Spielbergs und die Datenbanken im Netz längst zu akustischen, filmischen und digitalen Aufzeichnungen übergegan- gen sind – entscheidend sind zwei Eigenschaften: erstens Speicherung (d. h. Objektförmigkeit, Lagerungsfähigkeit und wiederholte Zugänglichkeit) und zwei- tens Verbalität (d. h. Lesbarkeit). In Kombination ergeben diese beiden Faktoren die Definition eines weiten, aber nicht-metaphorischen Textbegriffes. Für einen so verstandenen Text gilt das Wort Bachtins: „Der Text [...] ist die primäre Ge gebenheit [...] allen Denkens in den Humanwissenschaften [...]. Wo kein Text ist, da ist auch nichts, worüber zu forschen oder zu denken wäre“ (Bakhtin 1986, 103). Textualität wird hier also nicht als ein Medium unter anderen, sondern als basale Eigenschaft von Archiven verstanden. Gespeicherte, d. h. einer überprüf- baren wissenschaftlichen Analyse zugängliche Kontexte sind textuell oder sie sind nicht – so ließe sich Bachtins Verdikt archivtheoretisch reformulieren. Um diese kühne, derzeit ein wenig gegen den (performativen, kognitiven, präsenz- theoretischen) Trend gesprochene Annahme zu plausibilisieren, sei ein kleiner, aber hoffentlich erhellender Umweg über die Systemtheorie erlaubt. Auch für Niklas Luhmann erfüllen Texte eine dem Gedächtnis menschlicher ‚Bewusstseine‘ analoge Aufgabe: Sie speichern Wissen und halten es transsituativ als Vergleichswissen für je aktuelle Operationen psychischer und sozialer Systeme bereit. Dirk Baecker konkretisiert diesen Gedanken, indem er Kultur überhaupt als dieses Vergleichswissen definiert, mit der Betonung auf „Vergleich“: „Kultur“ ist das, was unvergleichbare Lebensweisen vergleichbar macht. [...] Der moderne Kulturbegriff ist das Ergebnis der intellektuellen Praxis des Vergleichens. [...] es geht um die scheinbar ganz harmlose intellektuelle Geste, irgend etwas für „interessant“ zu halten und sich mithilfe des Vergleichswissens, das man sich angelesen hat, Gedanken über dieses Interessante zu machen. (Baecker 2000, 47–48)
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Logiken der Sammlung Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Titel
Logiken der Sammlung
Untertitel
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Autoren
Petra-Maria Dallinger
Georg Hofer
Verlag
De Gruyter Open Ltd
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-11-069647-9
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
202
Schlagwörter
Archiv, Nachlassinventar
Kategorien
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