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30 Moritz Baßler
Verglichen werden können bedeutsame Kulthandlungen wie das Beten in ver-
schiedenen Religionen, genausogut kann aber auch von Kinderspielzeug, Pop-
musik oder Essbesteck die Rede sein. Entscheidend ist, dass in Baeckers Modell
all dies, selbst die Kulthandlung (das Beten), nicht per se Kultur ist, sondern dass
Kultur daraus wird als Ergebnis einer bestimmten Betrachtungsweise. Diese
Betrachtungsweise ist der Vergleich. Und wie nichts gleichsam essentiell Kultur
ist, so gilt auch umgekehrt, dass es nichts gibt, was per se nicht unter Kultur sub-
sumierbar wäre.
Alles läßt sich vergleichen, alles kann „interessant“ oder „uninteressant“ gemacht werden,
von der Frage der Weinbaukunst bis zur Frage der ehelichen Liebe. Alles erscheint doppelt,
nämlich einmal als das, was es ist, und einmal als das, was es im Rahmen eines Vergleiches
bedeutet. Und natürlich schlagen die Konjunkturen der Bedeutung zurück auf das, was
etwas „ist“. Schließlich „ist“ nichts mehr etwas, wenn es nicht zugleich auch etwas „bedeu-
tet“. (Baecker 2000, 67)
„Alles läßt sich vergleichen“, in einer elaborierten Kultur finden sich keine Dinge,
die nicht auch Bedeutung haben,2 eine Bedeutung, die ihnen aber wie gesagt
nicht ontologisch anhaftet, sondern die ihnen aufgrund einer bestimmten intel-
lektuellen Praxis zugeschrieben werden kann. Wo Baecker über die ethnologi-
sche Methode des Kulturvergleichs handelt, benennt er auch, um was für eine
Praxis es sich hier handelt:
Eine im strengen Sinne des Wortes ethnologische Kulturbeschreibung dürfte [...] nicht
an
thropologisch, das heißt mit Referenz auf die Unterschiedlichkeit (und Gleichheit) der
betei ligten Menschen, sondern sie müßte semiotisch verfahren, das heißt mit Referenz auf
die Zeichen, die den Kulturkontakt so oder anders schwer oder leicht machen. (Baecker
2000, 17–18)3
Eine kulturpoetische Betrachtungsweise ethnologisiert gleichsam die eigene
Kultur (vgl. Rabinow 1986, 241). Die kulturpoetische Praxis des Vergleichens ist
dabei wesentlich eine semiotische, denn „Zeichen“ sind ja eben Dinge im Modus
des Vergleichs.
„Kultur ist [demnach] das Ergebnis der intellektuellen Praxis des Verglei-
chens“ (Baecker 2000, 81). Das Interessante dabei: Textualistisch gefasst ist der
2
Insofern kann es nicht wirklich verwundern, daß Eckhard Henscheid in satirischer Absicht
hunderte sogenannter Kulturen zusammentragen konnte (vgl. Henscheid 2001).
3
Baecker setzt sich mehrfach in dieser Weise von der kulturanthropologischen und -soziologi-
schen Tradition in Deutschland ab, etwa von Friedrich Tenbruck und Hans Peter Thurn (vgl.
Baecker 2000, 81–82).
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik