Seite - 43 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Bild der Seite - 43 -
Text der Seite - 43 -
Idiosynkrasie und Systematik in KünstlerInnenarchiven
43
contemporaine in Montreal (2019). Eine weitere, von Dagmar Schink kuratierte
Ausstellung wurde am IFK in Wien ausgerichtet (2018). Wir betrachten es als inte-
gralen Bestandteil unserer Arbeit, das Archiv nicht nur zu beforschen und über
Publikationen zugänglich zu machen, sondern auch über das Format der Ausstel-
lung aufzuarbeiten, zu „zeigen“, zu kontextualisieren, Verweise und Bezüge auch
visuell herzustellen. Das Eingehen auf diese Visualisierungsformen in Ausstel-
lungen über Diagramme, Grafiken, abstrahierte Übertragungen von faktischen
Objekten und Dokumenten bildet einen zentralen Fokus meiner Arbeit, ist aber
hier nicht Gegenstand der Auseinandersetzung.
Der Vorteil eines erfassten, systematisierten und dann beforschten Vorlasses
gegenüber einem Nachlass ist, dass offene Fragen an die noch lebende „Bestands-
bildnerin“ möglich sind und ihren wertvollen Informationen nachgegangen
werden kann. Hinweise in Bezug auf Transkribierungen, Übersetzungsvorgänge
im eigentlichen und übertragenen Sinne zur hermeneutischen Erschließung des
Werks können gegeben werden. Andererseits wird der Künstlerin selbst die Mög-
lichkeit gewährt, mitzuerleben, wie mit Formen des Re-enactments umgegangen
wird oder wie Teile ihres Werks zum Ausgangspunkt für neue Werke von jungen
KünstlerInnen werden oder auch wie durch Fellows, ForscherInnen neue For-
schungsaspekte zutage treten.
Ziel ist es, den Vorlass über die Beforschung anschlussfähig und fruchtbar
für gegenwärtige Diskurse zu machen, die vielfach bereits vor einem halben Jahr-
hundert durch EXPORTs künstlerische Forschung angestoßen wurden.
2 Logiken der Sammlung von Künstlerarchiven
Jürgen Thaler hat in seinem Text zur Ausstellung VALIE EXPORT – ARCHIV am
Kunsthaus Bregenz 2011/12 die hilfreiche Unterscheidung vom „naiven“ Archiv
(nach Yerushalmi und in weiterer Folge von Derrida) und dem „sentimentali-
schen“ Archiv (nach Schiller) aufgegriffen, um Unterscheidungsmöglichkeiten
von Staatsarchiven und individuellen Archiven zu bezeichnen (vgl. Thaler 2012):
Demnach ist das „sentimentalische“ Archiv persönlich, anarchisch, folgt einer
idiosynkratischen Ordnung und ist keiner rechtsstaatlichen Ordnung unterwor-
fen. Man könnte auch mit Walter Benjamin sagen, Künstler sammeln wie „Lum-
pensammler“: Sie sammeln gegen das Herrschaftsverständnis des dominieren-
den Diskurses, nach einer eigenen Ordnung, die unintentional/intentional/
intuitiv/subjektiv/selektiv ist, eher einem Sammeln nach Ähnlichkeiten, Analo-
gien, Sympathien verpflichtet. Damit ergibt sich der Vergleich zwischen dem
Künstler/der Künstlerin und der Indifferenz des Kindes beispielsweise gegenüber
dem common sense (vgl. Finkelde 2006) des Kanons, einer Nomenklatur des Sam-
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik