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44 Sabine Folie
melns, das heißt es handelt sich um das Erstellen einer Ordnung jenseits der sym-
bolischen patriarchalen Ordnung.
In diesem Zusammenhang stehen zunächst einige Aussagen der Künstlerin
selbst zum Archiv:
Sicherlich ist es hauptsächlich mit dem künstlerischen Tun entstanden, aber soweit ich
mich erinnern kann, habe ich schon als Kind sehr gerne gesammelt (muss man in dem Fall
sagen) – es war eine Anhäufung von Dingen, die einerseits meine Vergangenheit und die
Gegenwart waren, aber wo ich auch wusste, es hat auch etwas Zukünftiges. Als Kind weiß
man es nie so dezidiert und kann es vielleicht auch gar nicht genau auseinanderhalten,
weshalb man sammelt. Zum Beispiel habe ich aus Fotos meines Vaters, der im Krieg gefal-
len ist und an den ich mich nicht mehr erinnern konnte und anderen Fotos, Altäre gebaut.
Die Fotos von meinem Vater waren seine Lebenslinien, bei denen es für mich aber damals
vollkommen normal war, dass sie JETZT sind. Es war natürlich nicht JETZT, es war meine
Fantasie. Es war ein Spiel, um ihn mehr kennenzulernen. Ein Archiv funktioniert letzten
Endes auch in dieser Art, dass man in das Archiv hineingreift, um etwas herauszuziehen;
man will etwas Unbekanntes kennenlernen oder einen Zusammenhang finden, wenn man
wieder etwas anderes herauszieht. (Zit. n. Winkelmayer 2016, 5)
So wie es VALIE EXPORT mit den Erinnerungsstücken ihres Vaters ergangen ist,
dieser Wille zur Rekonstruktion, ergeht es uns und den ForscherInnen generell,
wenn wir das Material in die Hände bekommen und versuchen, ein Puzzle zusam-
menzufügen, zu vergleichen, abzuleiten, Schlüsse zu ziehen. Zur Differenz aber
der Sammlung eines Museums im Vergleich zur Akkumulation von Dokumenten
in einem Archiv wie dem ihren, meint EXPORT:
Eine Sammlung in einem Museum ist ein öffentliches Gut, ist ein öffentliches Gedächtnis,
ein Museumsgedächtnis, die Zugänglichkeit ist künstlich gemacht. Sie könnte ja auch offen
sein. Ein Archiv und eine Sammlung haben auch konträre Strukturen, wenn sie mit
Gedächtnis zu tun haben. Innerhalb eines Archivs gibt es viel mehr Verbindungen und
Wege als in einer Sammlung, was die Dinge zusammenbringt oder zusammenhält. Eine
Sammlung kann auch sehr einförmig sein, obwohl sie natürlich verschachtelt, verschiede-
nen Ursprungs und Kontextes ist. Man könnte auch sagen, ein Archiv hat etwas – wenn man
einen Begriff verwenden darf, der nicht mehr in unserer Zeit verwendet wird – Anarchisti-
sches in sich –, weil es verschiedene Dinge aufgreift, zusammenbringt und nicht einer
starken Regel unterliegt. Die Regeln werden gebrochen bzw. sie verteilen sich wie ein
Rhizom. Die Strukturen sind anarchistischer, weil man unterschiedliche Strukturen oder
Materialitäten zu Aussagen zusammenbringt – das mag eine Sammlung nicht leisten. (Zit.
n. Winkelmayer 2016, 5–6)
Am anderen Ende dieses Prozesses oder auf der anderen Seite steht das herme-
neutische Interesse der ForscherInnen und KuratorInnen: Material wird durchge-
sehen, Bezüge hergestellt zu vollendeten und unvollendeten Werken resp. unvoll-
endeten oder nicht umgesetzten Ideen, Drehbüchern etc. Es ist unsere Aufgabe,
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik