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Li Gerhalter
âhergestellte Selbstaussagenâ in Interviews bereitstellen, zumeist klar von solchen,
die âvorgefundeneâ Selbstzeugnisse archivieren. Neben der MaterialitĂ€t und der
notwendigen technischen Ausstattung liegt das an den verschiedenen Inhalten
der Ressourcen. ZeitzeugInnengesprÀche sind zumeist entlang einer konkreten
Forschungsfrage gestaltet. Projekte, die Interviews ohne konkrete AnlÀsse durch-
fĂŒhren und â sozusagen als âRohmaterialâ â zur wissenschaftlichen Benutzung
zur VerfĂŒgung stellen, bilden dabei die Ausnahme. Zwei davon sind MenschenLe-
ben â Eine Sammlung lebensgeschichtlicher ErzĂ€hlungen der Ăsterreichischen
Mediathek sowie das Archiv fĂŒr AlltĂ€gliches ErzĂ€hlen am Institut fĂŒr Volkskunde/
Kulturanthropologie an der UniversitÀt Hamburg. Im Rahmen von MenschenLe-
ben wurden seit 2009 bislang um die 1.600 Oral-History-Interviews gefĂŒhrt und
auch online verfĂŒgbar gemacht, das Archiv fĂŒr AlltĂ€gliches ErzĂ€hlen umfasste
2018 um die 550 GesprÀche.
Interviews, die als Ergebnisse von verschiedenen Forschungs- oder Vermitt-
lungsprojekten aufbereitet sind, stehen inzwischen in kaum ĂŒberschaubarer
Auswahl auch online zur VerfĂŒgung.4 In jĂŒngerer Zeit kommt vermehrt auch die
Nachnutzung von Interviews in Frage, die ursprĂŒnglich fĂŒr einen anderen For-
schungszweck angefertigt wurden. Der Grund dafĂŒr liegt im Umstand, dass Ver-
treterInnen jener Generationen, die historischer Ereignisse wie etwa den Holo-
caust persönlich miterlebt haben, wegen des immer gröĂer werdenden zeitlichen
Abstandes zunehmend nicht mehr selbst befragt werden können.5
Die Situation der Archivierung von âvorgefundenen Selbstaussagenâ ist eine
völlig andere. Um diese Art von Quellen wird es in diesem Beitrag im Weiteren
gehen.
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Unterschiedlich gelagerte Beispiele wÀren etwa das Austrian Heritage Archive (AHA), das in
Kooperation des Vereins GEDENKDIENST und mehrerer internationaler Institutionen aufgebaut
wird und die Sammlung âweiter_erzĂ€hlenâ auf âerinnern.atâ des Vereins Nationalsozialismus
und Holocaust: GedÀchtnis und Gegenwart, die Interviews zum Thema Holocaust bereitstellen,
oder die zwei Projekte Berlin in Bewegung: Aktivist*innen erzÀhlen von der Frauen/Lesbenbewe-
gung seit 1968 und âFriedliche Revolutionâ? Lesbisch-feministische Perspektiven auf 1989 des
FFBIZ in Berlin.
5â Dazu werden vorwiegend Wissensressourcen wiederverwendet, die in Einrichtungen wie
etwa dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien gesammelt wur-
den. Die Ăffnung der persönlichen Forschungsarchive einzelner WissenschafterInnen ist bislang
kaum ĂŒblich. Ein Beispiel wĂ€re die seit 2019 online gestellte Sammlung von 71 Interviews, die der
Historiker Finbarr McLoughlin um 1980 mit Mitgliedern des Republikanischen Schutzbundes
fĂŒhrte.
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik