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Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
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60    Li Gerhalter Jahr 2000 übergab sie eine Zusammenstellung von Briefen an die Sammlung Frauennachlässe. Den Hintergrund beschrieb sie folgendermaßen: Wir waren eine jüdische Familie und ich war die einzige die den Krieg überlebt hat. Im May 1939 wurde ich von meinen verzweifelten Eltern nach England geschickt. Für 3 Monate, bis zum Kriegsausbruch konnten wir korrespondieren. Nachher schrieben meine Eltern an Ver- wandte in Brüssel die mir die Briefe schickten. Nach der Eroberung von Belgien, ging unsere Korrespondenz über USA – – eine langsame Angelegenheit! Dann, als Amerika in den Krieg eintrat – – nichts mehr. Meine Eltern, Bruder, Großmutter, Tanten, Onkeln, usw. kamen alle im Holocaust um. Von ihnen verblieb nichts – keine alten Möbeln, Kunstgegenstände, eine goldene Uhr, ein Ring – alles Sachen die in Familien von Generationen zu Generationen weitergehen. Nicht einmal Gräber gibt es für diese Menschen. Der einzige Beweis, dass sie jemals auf der Welt waren, liegt in ihren Briefen. (Frances Nunnally. Brief an die SFN, Februar 2000; Hervorhebungen im Original) Die Themen Erinnerung und Überlieferung, die Frances Nunnally als Überle- bende des Holocausts hier so nachdrücklich beschrieben hat, haftet kaum einem anderen Zusammenhang in einer vergleichbaren Schwere an. Insgesamt liegt aber wohl allen Übergaben von Selbstzeugnissen das Interesse zugrunde, an ein Ereignis zu erinnern oder eine Person vor dem Vergessen zu bewahren. Und das scheint insbesondere durch den Erhalt von auto/biografischen Zeugnissen gewährleistet zu sein. Die VerfasserInnen können „in dieser Form weiterleben“, wie es eine zweite Nachlassgeberin formuliert hat (Christina O. E-Mail an die SFN, August 2016). Entsprechend war die pointierte Aussage: „Ja, [ich überlasse Ihnen] gern alles, dann werde ich unsterblich“ einer dritten bei der Übergabe ihrer Jugendtagebücher 2004 vielleicht auch nur halb als Scherz gemeint (Ilse B. E-Mail an die SFN, April 2011). Dass dabei der Inhalt der Selbstzeugnisse möglicherweise sogar in den Hin- tergrund treten kann, wird im Fall von Frances Nunnally deutlich. Demgegenüber ist der dezidierte Wille zur Weitergabe von Wissen bzw. von Erfahrung ein weite- rer Anlass für die Übergabe von persönlichen Aufzeichnungen. Hier kann ein bestimmtes Sendungsbewusstsein dahinterstehen, womöglich auch der Wunsch zur aktiven Teilhabe am Wissensdiskurs bzw. am kollektiven Gedächtnis. Das von Hanne Leßau konstatierte geänderte Geschichtsbewusstsein „in die Gesellschaft hinein“ hat ein „Interesse am (Auto-)Biografischen“ gefördert, wie die Kulturwissenschafterin Klara Löffler die Konjunktur (populär-)wissenschaftli- cher Publikationen auf dem Buch- und Medienmarkt der vergangenen Jahrzehnte bezeichnet hat (Löffler 2008, 38). Daraus hat sich eine Art von neuem auto/bio- grafischem Selbstbewusstsein entwickelt. Entsprechendes lassen zumindest ver- schiedene Kommentare von Vor- und NachlassgeberInnen gegenüber der Samm- lung Frauennachlässe vermuten: „Gibt es neue Projekte wo sie ‚Input‘ suchen?“,
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Logiken der Sammlung Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Titel
Logiken der Sammlung
Untertitel
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Autoren
Petra-Maria Dallinger
Georg Hofer
Verlag
De Gruyter Open Ltd
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-11-069647-9
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
202
Schlagwörter
Archiv, Nachlassinventar
Kategorien
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