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66â â Li Gerhalter
Die Sammlung FrauennachlÀsse ist dabei die einzige Einrichtung, die sich
allgemein auf auto/biografische Aufzeichnungen spezialisiert hat. Entsprechend
der oben beschriebenen Dynamik hĂ€lt inzwischen aber ein GroĂteil der feminis-
tisch ausgerichteten Sammlungen auch Vor- oder NachlÀsse bereit, zumeist jene
von BewegungsaktivistInnen. Wie sieht es diesbezĂŒglich aber in den Institutio-
nen aus, die keinen geschlechterspezifischen Fokus verfolgen?
Einer entsprechenden Revision unterzog die Bibliothekswissenschafterin
Dagmar Jank zu Beginn des 21. Jahrhunderts die BestÀnde von deutschen Samm-
lungen, die kulturell tĂ€tige Personen dokumentieren. Als Ressource nĂŒtzte sie
dazu unter anderem die deutsche Zentrale Datenbank NachlÀsse. Hier waren
2006 um die 25.000 Personen aufgenommen, etwa 2.000 (8 Prozent) davon waren
Frauen (vgl. Jank 2006, 211). Anfang 2020 waren in dieser vom deutschen Bun-
desarchiv in Koblenz zusammengestellten Datenbank exakt 28.605 Personen
erfasst. Eine geschlechterspezifische Auswertung der aktuellen Zahlen liegt noch
nicht vor (Auskunft per E-Mail von Konrad Zrenner, Bundesarchiv, JĂ€nner 2020).
Sie dĂŒrften sich aber ohnedies nicht extrem verschoben haben: Selbst wenn bei
jenen 3.600 Personen, die nach der Auswertung von Dagmar Jank neu aufgenom-
menen wurden, gleich viele Frauen und MÀnner gewesen wÀren (je 1.800, was
kaum realistisch ist), wĂŒrden die damit nun insgesamt (hypothetisch) dokumen-
tierten 3.800 Frauen immer noch erst zirka 13 Prozent von allen genannten Perso-
nen ausmachen.
Diese Tendenz lÀsst sich mit folgenden Zahlen bestÀtigen: In der vom Litera-
turarchiv der Ăsterreichischen Nationalbibliothek erstellten Datenbank Verzeich-
nis der kĂŒnstlerischen, wissenschaftlichen und kulturpolitischen NachlĂ€sse in
Ăsterreich sind derzeit laut Angaben auf der Website ârund 6.100â Personen
erfasst. Zu 3.473 von ihnen stehen im âPersonenlexikonâ biografische Notizen
auch online zur VerfĂŒgung. 384 davon sind Frauen (11 Prozent). Entsprechend
solcher Ergebnisse kam Jank zu der pessimistischen Prognose, dass auch die
radikal verĂ€nderten Archivierungspraktiken der jĂŒngeren Vergangenheit âdie
VersÀumnisse einer mÀnnlich geprÀgten Archiv- und Bibliothekswelt nicht
wieder wett machenâ könnten (Jank 2006, 212) â zumindest gilt das fĂŒr Sammlun-
gen von KĂŒnstlerInnennachlĂ€ssen.16
In den historisch ausgerichteten Einrichtungen zeigt sich ein völlig anderes
Bild. Anhand einer entsprechenden Auswertung von drei BestÀnden konnte ich
16â Dass diese beiden Datenbanken nur bedingt etwas darĂŒber aussagen können, wie viele Vor-
oder NachlĂ€sse von Frauen insgesamt erhalten sein dĂŒrften, zeigen etwa das 1.500-seitige Lexi-
kon Autobiographien von Frauen (Wedel 2010) oder das vierbÀndige Lexikon österreichischer
Frauen (Korotin 2016), in denen jeweils 2.000 bzw. 6.500 Persönlichkeiten vorgestellt werden.
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik