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76 Mario Huber
geplante – Interaktion mit dem Publikum darstellen, fallen zusätzlich aus dem
Blick. Auch gibt es, wie z. B. bei Theateraufführungen üblich, eine gewisse
Varianz zwischen Premiere und Dernière. Um eine schiefe Analogie zur Musik
herzustellen: Es gibt nur Live-Alben, eigentlich keine Studio-LP, „Overdubs“
muss man hier wie dort in Kauf nehmen, ohne Genaueres zu wissen. Mit der
Praxis, dass seit ungefähr 30 Jahren Audio- und Videomitschnitte in großem Maß
produziert werden, wird der Arbeit des ÖKA natürlich unter die Arme gegriffen
und es gibt damit zumindest eine aufgezeichnete Version einer Tournee der
jeweiligen Kabarettistin oder Kabarettisten.7 Bedenkt man aber, was man nicht
berücksichtigen kann, bleibt mitunter Resignation.8
In der hier gewählten Perspektive sollen nun Aspekte in den Mittelpunkt
rücken, die sich einerseits aus den Sammlungen des ÖKA ergeben, andererseits
(sowie damit zusammenhängend) durch die populär-kulturelle Grundform des
Kabaretts. Die kommerzielle Ausrichtung und die vielfältige Abhängigkeit, einer-
seits vom medial vermittelten politischen oder wirtschaftlichen Tagesgeschäft
sowie andererseits vom flüchtigen Klatsch und Tratsch, wobei oft das einzig
„Neue“ oder Innovative tatsächlich eine „Neuigkeit“ ist, so das hier vertretene
Verständnis von Kabarett, sind intrinsische Komponenten. Ebenfalls sind die
Veröffentlichungen der Kabarettistinnen und Kabarettisten in diesen Rahmen
einzuordnen. Dadurch lässt sich die Blickrichtung ändern: Pragmatisch und ver-
einfacht betrachtet ist Kabarett das, was die Kabarettistin oder der Kabarettist
7
Für viele Programme gibt es zudem im Archiv meist eine zweite oder auch dritte Aufzeichnung
aus diversen Radiosendungen oder durch unveröffentlichte Mitschnitte oder „Bootlegs“ aus dem
Theatercafé in Graz sowie durch extensive Schenkungen wie durch den Journalisten Peter Blau,
der jahrelang viele Programme in Wien (Kulisse, Spektakel, Niedermair etc.) aufgezeichnet hat.
8
Ein weiterer Zugang zum Begriff „Kabarett“ ist vielleicht gerade deshalb auch in der Figur des
Scheiterns zu suchen bzw. im Eingestehen der Unmöglichkeit einer Definition. Volker Kühn ord-
net sich in diese Tradition ein, jedoch mit einem Fokus auf dem Inhalt: „Der leichten Muse ist
schwer beizukommen, auch im Nachhinein. Was nichts und niemanden so recht ernst zu neh-
men bereit ist, auch sich selbst nicht, entzieht sich der Einordung in Schubfächer und Karteikas-
ten auch nach Jahren noch. Was für den Tag geschrieben ist, will nicht nach einem halben Jahr-
hundert noch Wirkung haben, nicht einmal belächelt werden. Was sich wie das Kabarett, an der
Zeit entzündet und je nach Lust, Laune und Anspruch zur Erheiterung, als Muntermacher oder
einfach zum Spaßverderben an die Zeitgenossen wendet, will nicht nach Urzeiten noch Zeitver-
treib bieten. // Nicht einmal über die Schreibweise ist man sich einig. Was dem einen das große
C in CABARET, ist dem andern sein hartes K in KABARETT mit dem doppelten t. Angesiedelt
zwischen Kalauern und Klamotten, Pfeffer und Pointen, Agitation und Amüsement, Zeitkritik
und Augenzwinkern, paßt es weder ins Theater noch auf die Operettenbühne“ (Kühn 1984, 8–9,
zit. n. Veigl 2013, 7–8).
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik