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78 Mario Huber
[D]ie Praktik als soziale Praktik ist nicht nur eine kollektiv vorkommende Aktivität, sondern
auch eine potenziell intersubjektiv als legitimes Exemplar der Praktik X verstehbare Praktik
– und diese soziale Verständlichkeit richtet sich auf die körperliche „performance“. (Reck-
witz 2003, 290)
Gebündelt und makroskopisch betrachtet, ohne auf diese Perspektive verkürzen
zu wollen, ergeben die Praktiken in ihrer spezifischen je (nicht ganz) individuel-
len Verbindung bestimmte Subjektkulturen (vgl. Reckwitz 2006, 11–12), die sich
eben anhand der Praktiken unterscheiden und grob ordnen lassen. Bezüglich der
Praktiken (und der damit eröffneten sozialen Felder) sieht Reckwitz, in Anschluss
und Weiterentwicklung von Bourdieu,10 in der Arbeit, in den persönlichen und
intimen Beziehungen sowie in den (begrifflich von Michel Foucault geborgten)
„Technologien des Selbst“ die größten Distinktionsmöglichkeiten (vgl. Reckwitz
2006, 16). Damit umfasst dieser Zugang auch die materielle Umwelt des Akteurs
oder der Akteurin. Es kann davon ausgegangen werden, dass bestimmte Kommu-
nikationsmedien – vom Buchdruck bis zu webbasierten, multimedialen Distribu-
tionsformen – erst ganz bestimmte Komplexe von sozialen Praktiken ermöglicht
haben und deshalb ebenfalls Einfluss nehmen (vgl. Reckwitz 2003, 290). Mit
Blick auf das Kabarett und seine Akteurinnen und Akteure, speziell für die letzten
30 Jahre in Österreich, ist dieser Zugang gewinnbringend, da hier im Sinne von
Reckwitz mit Blick auf die Subjektkultur eine „massenmediale Inszenierung von
expressiver Individualität“ als idealer Ich-Vorstellung und Kreativitätsdogma
anzutreffen ist (vgl. Reckwitz 2016b, 208).
Im Folgenden soll das künstlerische Betätigungsfeld Kabarett als Ort mit
einer bestimmten Subjektkultur, die als „mitspielfähig“ anerkannt worden ist
(vgl. Alkemeyer 2013, 34), verstanden werden, in dem neben den künstlerischen
ebenso stark ökonomisch motivierte, im Sinne der Popkulturforschung primär
auf „ästhetisches Vergnügen“ abzielende (vgl. Maase 2019, 107–108) Gestaltungs-
parameter wirksam werden. Die unterschiedlichen Ansprüche und damit ver-
bundenen Erwartungen ergeben dabei interessante Kurzschlüsse, die z. T. auch
10 Der Stellenwert von Pierre Bourdieus Arbeiten für die praxeologische Forschung ist insge-
samt herauszustellen. Viele Anknüpfungspunkte für spätere praxeologische Überlegungen, d. h.
subjektivistische und objektivistische Erkenntnisweisen in ihrer jeweiligen Einseitigkeit vermei-
denden Positionierung, lassen sich in Bourdieus Buch Sozialer Sinn finden (vgl. Bourdieu 1987,
97). Auch der bereits erwähnte Begriff des (ernsten) Spiels sowie die daraus resultierenden impli-
ziten Spielregeln bestimmter Felder sind in der Feld
- und Habitus-Theorie schon angelegt (vgl.
Bourdieu 1995, 27; 2012, 17). Ebenso lassen sich die folgenden Überlegungen zu ökonomischen
und zugleich künstlerischen Positionierungen bei Bourdieu in unterschiedlichen Varianten fin-
den, mit einer Wendung auf das literarische Feld z. B. in Die Regeln der Kunst (vgl. Bourdieu
2001, 198–205).
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik