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Die Konservierung der Töneâ â
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Zu den ersten Phonogrammen, die in Wien angefertigt wurden, zÀhlen soge-
nannte StimmportrÀts bekannter Persönlichkeiten wie Kaiser Franz Joseph, Marie
von Ebner-Eschenbach, Arthur Schnitzler, Joseph Weinheber und Albert Einstein.
Die in der Kaiservilla in Ischl 1903 aufgenommene Stimme des Monarchen findet
sich auf den Phonogrammen Nr. 1â3. Am Ende des von Exner vorgefertigten pro-
grammatischen Textes fĂŒgt der Kaiser noch die gewissermaĂen spontanen Worte
an: âEs hat mich sehr gefreut, auf Wunsch der Akademie der Wissenschaften
meine Stimme in den Apparat hineinzusprechen und dieselbe dadurch der
Sammlung einzuverleibenâ (SchĂŒller 1997). Weitere thematische Schwerpunkte
der Phonographie waren musikethnologische Studien auf verschiedenen Konti-
nenten (u. a. durch Rudolf Pöch in Neuguinea und in der Kalahari) sowie die
Dokumentation von Sprachen (u. a. durch Rudolf Trebitsch bei keltischen Mino-
ritĂ€ten und bei den Basken). DarĂŒber hinaus war es eine der Hauptaufgaben des
Phonogrammarchivs, österreichische Mundarten im gesamten Gebiet der Habs-
burgermonarchie zu dokumentieren. Als Àlteste wissenschaftliche Dialektauf-
nahme im deutschsprachigen Raum gilt das Phonogramm Nr. 105, das die Schil-
derung einer Hirschjagd in Unterach am Attersee enthĂ€lt (vgl. âDazĂ€hlânâ 2003,
ID 5). In einer Reihe weiterer Phonogramme aus den Jahren 1901 bis 1909 wurden
die sogenannten 40 WenkersÀtze im jeweiligen Ortsdialekt aufgenommen. Dieser
Fragenkatalog mit 40 einigermaĂen konstruiert wirkenden SĂ€tzen geht auf den
RheinlĂ€nder Georg Wenker zurĂŒck, der um 1875 die Idee hatte, Fragebögen an
alle Schulen in Norddeutschland, dann im Deutschen Reich und schlieĂlich im
gesamten deutschen Sprachraum zu versenden und die vorgegebenen SĂ€tze von
den LehrkrĂ€ften â und, wenn möglich, unter Mithilfe der SchĂŒler â in die jewei-
lige Ortsmundart ĂŒbersetzen zu lassen. Die Ergebnisse aus rund 50.000 Schulor-
ten wurden von Wenker und seinen Nachfolgern im Sprachatlas des Deutschen
Reichs bzw. im Deutschen Sprachatlas (DSA) ausgewertet (vgl. Schmidt und
Herrgen 2011, 97â107). Wissenschaftsgeschichtlich gesehen liegt diesem dia-
lektgeografischen Grundlagenwerk gewissermaĂen ein erster âspatial turnâ
zugrunde, der mit dem Dogma der Lautgesetze bricht oder zumindest deren Aus-
nahmslosigkeit bestreitet.
2â Tonaufnahmen der Zwischenkriegs- und der NS-Zeit
Nach dem Ersten Weltkrieg gerieten die Wiener und die Marburger dialektologi-
sche Schule im wissenschaftlichen Disput ziemlich heftig aneinander, wobei die
Wiener Schule an den junggrammatischen Prinzipien und an der strengen pho-
netischen Ausrichtung festhielten (vgl. Wiesinger 1976). In den 1930er-Jahren
zeigt die Sprachwissenschaft an der Wiener Germanistik einige fortschrittliche
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik