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Joachim Förster
Sammlung zur Repression – Zugang als
demokratisches Recht
Die Nutzung der Stasi-Unterlagen der ehemaligen DDR
1 Einleitung
Wer einmal Gelegenheit hatte, in den Unterlagen des Ministeriums für Staatssi-
cherheit der ehemaligen DDR (Stasi-Akten) zu lesen, dem erschiene es vermutlich
nicht naheliegend, das Stasi-Unterlagen-Archiv im Rahmen einer Veranstaltungs-
reihe Literatur und Archiv zu thematisieren. Endlose Schachtelsätze, bürokra-
tisch-militärische Wortungetüme und eine Fülle von Abkürzungen – die Sprache
der Stasi (vom banalen Inhalt vieler Berichte ganz abgesehen) ist eher ein sprach-
liches Gegenbild zur Literatur.
Eine zeitgeschichtliche Assoziation zur Literatur wäre die Tatsache, dass kaum
ein anderes Milieu von der Stasi so lückenlos überwacht und kontrolliert wurde
wie die SchriftstellerInnen in der DDR. Wohl nirgends verfügte das Ministerium
für Staatssicherheit (MfS) über ein so dichtes Spitzelnetz wie im sog. Sicherungs-
bereich Literatur. Der Schriftstellerverband war durchsetzt von Inoffiziellen Mitar-
beitern (IM), missliebige KünstlerInnen waren Opfer zersetzender Maßnahmen.
Kaum etwas fürchtete Stasi-Chef Erich Mielke so sehr wie die intellektuelle Unbot-
mäßigkeit.
Für den interdisziplinären Ansatz dieser Reihe, die „Logiken der Sammlung“
vergleichend zu beleuchten, dürfte das Stasi-Unterlagen-Archiv im Hinblick auf
seine Besonderheiten allerdings nicht uninteressant sein. Nie zuvor sind die Hin-
terlassenschaften einer Geheimpolizei geschlossen übergeben und zeitnah
zugänglich gemacht worden. Die Stasi hat niemals damit gerechnet, dass die Pro-
dukte ihrer streng konspirativen Tätigkeit eines Tages in diametraler Umkehr
ihres Entstehungszwecks ausgerechnet auch den Opfern ihrer Maßnahmen
gegenüber offengelegt werden würden.
Vor Abgabe nicht mehr benötigter Akten an Archive oder der Aufnahme in
Sammlungen finden im Regelfall Prozesse der Anbietung, archivarischen Bewer-
tung und Auswahl statt. Des Weiteren gelten für Unterlagen mit personenbezoge-
nen Informationen normalerweise lange Schutzfristen, die einer Nutzung ohne
Einwilligung grundsätzlich entgegenstehen. Die Stasi-Unterlagen wurden durch
den plötzlich eintretenden politischen Umbruch der friedlichen Revolution und
die Besetzungen der Stasi-Dienststellen 1989/90 quasi aus dem laufenden Betrieb
Open Access. © 2020 Joachim Förster, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert
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https://doi.org/10.1515/9783110696479-011
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik