Seite - 164 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Bild der Seite - 164 -
Text der Seite - 164 -
164 Monika Mayer
ihren häufig „jüdischen“ EigentümerInnen entzogen worden waren. Dank der
Ergebnisse der aktuellen Provenienzforschung sind das besondere Aus
maß und
die Planmäßigkeit des NS-Kunstraubes in Österreich sowie die unsensible
Haltung in der Erwerbungspolitik der Museen auch nach 1945 belegbar. Fragen
nach der Provenienz der Kunstwerke und damit nach der Möglichkeit eines voran-
gegangenen Vermögensentzuges blieben bis 1998 meist ausgeblendet.
Evident ist, dass der österreichische Staat, repräsentiert durch die Museal-
und Denkmalamtsbürokratie, mögliche Restitutionen von geraubtem Vermögen
nicht als Bring-, sondern als Holschuld erachtete. Dies beweist auch der Umgang
mit in der NS-Zeit enteigneten oder zwangsweise veräußerten Objekten aus dem
Bestand des Sonderauftrag Linz;2 in der Nachkriegszeit von der Republik Öster-
reich als Verfallsgut beansprucht, erfolgte 1963 deren Zuweisung an diverse Bun-
desmuseen (vgl. Mayer 2018b). Nach der Auffindung der Kunstwerke in österrei-
chischen Bergungsorten wurden diese 1945 in den Central Collecting Point (CCP)
in München überführt. Ab den späten 1940er-Jahren beanspruchte das Bundes-
denkmalamt die Rückführung der Objekte mit der Auflage, deren Restitution an
die VorbesitzerInnen abzuwickeln.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das Denkmalamt als zuständige
Behörde sowohl für die Sicherstellung bzw. Enteignung von Kunstwerken ab 1938
als auch für deren Rückstellung nach 1945 mitverantwortlich war. Entsprechende
Aktenbestände, die eine Identifizierung bzw. Zuordnung ermöglicht hätten,
waren und sind im Amtsarchiv vorhanden. Dies wird auch am Beispiel eines
Gemäldes aus der Sammlung von Mathilde und Gottlieb Kraus zu zeigen sein.
Der „Code of Ethics“ des Internationalen Museumsbundes ICOM nennt als
eine der wesentlichen musealen Aufgaben die Erforschung der Provenienz eines
Objekts.3 „Mit aller gebotenen Sorgfalt“ soll die lückenlose Herkunftsgeschichte
überprüft werden. Die umfassenden Quellen- und Literaturrecherchen in Archi-
ven und Bibliotheken werden notwendigerweise ergänzt durch die Autopsie der
Originale in den Depots. Treffend schreibt Uwe Schneede, der frühere Direktor
der Hamburger Kunsthalle, unter dem Schlagwort „Auf der anderen Seite der
Leinwand“:
Es beginnt schon damit, dass Provenienzforscher sich weniger für die Gemälde als für die
Rückseiten der Leinwände, mehr für die Bodenplatten als die Hauptansichten der Objekte
2
Unter der Leitung der Kunsthistoriker Hans Posse und Hermann Voss (ab Dezember 1942) soll-
te der von Adolf Hitler eingesetzte Sonderauftrag Kunstwerke für das in Linz geplante „Führer-
museum“ erwerben (vgl. Schwarz 2004).
3 http://icom-oesterreich.at/sites/icom-oesterreich.at/files/attachments/ICOM%20Code%20
of%20Ethics_DT.pdf (25.11.2019).
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik