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Gestapo/Sonderauftrag Linz/Central Collecting Point München …
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Gottlieb Bohumil Kraus, geboren 1867 in Kralowitz/Křivsoudov in Böhmen,
war tschechoslowakischer Konsul in Wien. Er war verheiratet mit Mathilde Kraus,
née Reif, die 1873 in Ungarisch Ostrau zur Welt kam (zur Sammlung Kraus vgl.
Lillie 2003, 596–600). Das Ehepaar lebte in einer großzügig ausgestatteten
Wohnung in der Wiener Wohllebengasse 16,7 in unmittelbarer Nähe der barocken
Schlossanlage des Belvedere.
Ein Referent des Denkmalamtes hatte im Jänner 1923 die Wohnung der
Familie Kraus besichtigt und die Sammlung mit „guten Bildern von Pettenkofen,
Gauermann, Waldmüller, J. Emil Schindler, Ribarz, Rudolf Alt, Markó und moder-
nen Malern“ (Archiv BDA, A)8 zur öffentlichen Besichtigung gewidmet. Wie häufig
auch bei anderen Fällen umfasst der vorliegende Notariatsakt kein detailliertes
Sammlungsinventar.
Der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich im
März 1938 wurde auch für die Familie Kraus zur schrecklichen Zäsur, die Berau-
bung und Vertreibung zur Folge hatte. Als „Juden“ waren die Familienmitglieder
den rassistischen Repressionen des NS-Regimes ausgesetzt. Im Zuge der „Verord-
nung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 26. April 1938 mussten
auch Mathilde und Gottlieb Kraus sogenannte Vermögenserklärungen vorlegen.
Ihre Kunstsammlung wurde ohne genauere Beschreibung nur kursorisch mit
„Bilder 4.000.– RM“ angeführt (Staatsarchiv, A).
Dem Ehepaar gelang gemeinsam mit der Tochter Marie die Flucht über Prag,
Den Haag, Paris und London nach Montreal, Kanada, und weiter in die USA. Das
gesamte Vermögen wurde im Juni 1941 mit Verfügung der Gestapo beschlagnahmt;9
darunter auch die bei der Spedition Kirchner & Co. deponierte Kunstsammlung.
Der anlässlich der Flucht im Jahr 1938 an die Spedition übergebene Lift war nicht
mehr abgefertigt worden. Das beschlagnahmte Übersiedlungsgut der Familie
Kraus wurde nach und nach über die Vugesta, die Verwaltungsstelle jüdischen
Umzugsgutes der Gestapo, veräußert. Wie den im Österreichischen Staatsarchiv
überlieferten Geschäftsbüchern der Vugesta zu entnehmen ist, wurden durch die
Verkäufe mehr als 68.000 Reichsmark lukriert. Laut Sophie Lillie einer der
größten Einzelerlöse, der je von der Vugesta erzielt wurde (vgl. Lillie 2003, 597).
7 Bekanntheit erlangte die Adresse Wohllebengasse durch Tim Bonyhadys gleichnamiges Buch
über die Geschichte der Familie Gallia (vgl. Bonyhady 2013).
8 Zu den unterschiedlichen Archivmaterialien, aus denen im Folgenden zitiert wird, vgl. die
„Archiv-Quellen“ im Anschluss an den Beitrag.
9 „Das gesamte stehende und liegende Vermögen sowie alle Rechte und Ansprüche des Gottlieb
Israel Kraus […] und seiner Ehefrau Mathilde Sara […] wird aus Gründen der öffentlichen Sicher-
heit und Ordnung mit dem Ziele der späteren Einziehung zu Gunsten des Deutschen Reiches
beschlagnahmt“ (Staatsarchiv, B).
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik