Seite - 177 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
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Johannes John
Archiv und Politik
Zu Stifter-Handschriften in Prag, Linz, München und Genf
Flair und Faszination von Bibliotheken – und hier in Sonderheit ihrer Lesesäle
als Kernzonen der Vergegenwärtigung des Vergangenen – sind in ihrer ganz und
gar unvergleichlichen Atmosphäre vielfach beschrieben und beschworen worden
(vgl. hierzu stellvertretend Jammers et al. 2002; Rossner 2016): als Orte stillen
Dialogs in intensiver Zuwendung und kontemplativer Achtsamkeit wie ebenso
auch durchaus wacher sozialer Interaktion (vgl. Schley 2008). Dies gilt in beson-
derem Maße auch für deren ,Schatzkammern‘, also die höchst eigentümliche
Aura, die nicht nur von einer Handschrift ausgeht, sondern auch in den zu ihrem
Studium bereitgestellten, in der Regel nochmals exklusiveren Räumlichkeiten
,buchstäblich‘ fühlbar wird. Mir jedenfalls scheinen sie in dem ihnen innewoh-
nenden Fluidum von konzentrierter Hingabe und unabgelenkter Versenkung,
von offensichtlicher Demut und tiefem Respekt vor den Zeugnissen unserer
Geschichte durchaus als säkulare Brüder der Gotteshäuser, dies im Bewusstsein,
dass viele der in diesen Bergwerken der Erinnerung beschäftigten Archivarinnen
und Archivare diese Ein
drücke womöglich kaum teilen oder gar belächeln mögen.
Wer jedoch – da
mals noch als Doktorand – in Marbach einmal vor dem leibhafti-
gen Stapel jener Papiere stehen durfte, die auf der ersten Seite mit den Worten
„Jemand mußte Josef K. verläumdet haben …“ einsetzen, wird dies als einen der
feierlichsten Momente seines literaturwissenschaftlichen Lebens in Erinnerung
behalten.1 Womit wir, zumindest was den Autor dieses Satzes betrifft, an einem
der Orte angelangt sind, zu denen dieser Beitrag führen wird.
„Über ein literarisches Archiv zu sprechen ist sicher keine kurzweilige Ange-
legenheit. Äußerlich bietet sich dem Besucher zumeist ein Bild verstaubter
Regale, gefüllt mit unansehnlichen Schachteln“ (Hofman 1984, 109). Möglicher-
weise liegt vielen dieses Bild, wie es der Prager Germanist Alois Hofman zeich-
nete, ja näher als das Pathos der vorangegangenen Eingangsworte, wenngleich
auch er unmittelbar anschließend demgegenüber ebenso die „Ausstrahlung“
und das „Fluidum“ der in ihnen aufbewahrten Dokumente, und hier insbeson-
1 Bewusst wurde hier der persönliche Ton des Vortrags beibehalten, der es erlaubt, den Veran-
stalterInnen für die Einladung zum Internationalen Symposium Logiken der Sammlung. Das Ar-
chiv zwischen Strategie und Eigendynamik zu danken, wo dieser für den Druck überarbeitete Bei-
trag am 25. April 2019 im Adalbert-Stifter-Institut in Linz erstmals öffentlich vorgetragen wurde.
Open Access. © 2020 Johannes John, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizenziert
unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 Lizenz.
https://doi.org/10.1515/9783110696479-013
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik