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29Themenschwerpunkte
der Geschichte der Mauthausen-Überlebenden |
rung, Bestrafung, Bekämpfung, Ermordung und Ausbeutung von Gegnern bzw. der
Einschüchterung der Bevölkerung. Mit dem Fortschreiten des Krieges und der Expan-
sion auf immer weitere Gebiete gelangten neue Personengruppen in die Verfolgungs-
maschinerie. So führte etwa die Landung der Alliierten in der Normandie im Sommer
1944 zu zunehmenden Verhaftungen von Franzosen auch im deutschen Reichsgebiet,
die nicht nur mit deutschen Repressionsabsichten zu erklären sind, sondern auch mit
der steigenden Zahl von Widerstandshandlungen wie Sabotageakten und Arbeitsver-
weigerungen unter den französischen Zivilarbeitern, die sich durch den für das Deut-
sche Reich immer ungünstigeren Verlauf des Krieges zu «deutschfeindlichen» Hand-
lungen ermutigt fühlten.8
Im NS-Lagersystem kam dem Konzentrationslager Mauthausen insofern eine be-
sondere Rolle zu, als es als einziges der Lagerstufe III zugeteilt und damit von beson-
ders harten und oft zum Tode führenden Haftbedingungen gekennzeichnet war.9 Zu-
dem durchlief der Lagerkomplex, dessen letzte Lager erst am 5. bzw. 6. Mai 1945 von
alliierten Truppen befreit wurden, alle Phasen des Krieges, was unmittelbare Auswir-
kungen auf die Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft hatte : Mit der Einweisung
einer Vielzahl von republikanischen Spaniern und Polen ab dem Jahr 1940 wurden die
deutschen (und österreichischen) Häftlinge in Mauthausen bereits früh zu einer relativ
kleinen Minderheit in der Gesamtzahl der Häftlinge. Bedingt durch die geografische
Lage wurde Mauthausen ab 1943 zu einem Zentrum für die Verteilung von Häftlingen
auf die Rüstungsbetriebe bzw. in die dort errichteten Außenlager. Zudem wurde es
ab Frühjahr 1944 Zielpunkt zahlreicher Evakuierungstransporte mit Häftlingen aus
den geräumten Lagern im Westen und Osten.10 Gerade in dieser letzten Kriegsphase
veränderte sich so die Struktur der Häftlingsgesellschaft des Lagerkomplexes noch
einmal erheblich. Bedingt durch die Überbelegung, die unzureichende medizinische
Versorgung, die notdürftigen sanitären Bedingungen und die mangelhafte Ernährung
nahm auch die Sterberate unter den Häftlingen beträchtlich zu. So waren der Ausbruch
des Krieges, der Kriegsverlauf und die nationalsozialistischen Expansions- und Besat-
zungspolitiken für die Bedingungen im Lager, die Häftlingszusammensetzung und die
Häftlingshierarchien folgenschwer und veränderten diese im zeitlichen Ablauf neben
der zunehmenden räumlichen Ausdehnung auch bezüglich der steigenden Ausdiffe-
renzierung erheblich. Damit wurden der Zeitpunkt der Einlieferung in das Lager und
die jeweilige Haftdauer immer entscheidender für die Überlebensbedingungen.
8 Arnaud Boulligny : Zu den im deutschen Reichsgebiet verhafteten französischen Häftlingen, in : Doerry
et al. (Hg.), NS-Zwangslager, S. 17–34, hier 24.
9 Vgl. dazu auch die entsprechenden Bemerkungen von Florian Freund und Bertrand Perz in ihren zahl-
reichen Publikationen zum Lagerkomplex Mauthausen, zuletzt : Mauthausen – Stammlager, in : Benz/
Distel (Hg.), Der Ort des Terrors, Bd. 4, S. 293–346.
10 Vgl. Alexander Prenninger : Das letzte Lager. Evakuierungstransporte in der Endphase des KZ-Komple-
xes Mauthausen, phil. Diss. Univ. Wien 2017.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen