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39Themenschwerpunkte
der Geschichte der Mauthausen-Überlebenden |
und Straßen benannt sind.44 Erst in der Tauwetterperiode ab 1956 war es sowjetischen
Überlebenden der NS-Konzentrationslager erstmals möglich, öffentlich über ihre Er-
fahrungen zu berichten und sich zu einem Verband zusammenzuschließen. In ihrem
Lebensalltag blieben viele jedoch weiterhin als «verdächtige Elemente» von sozialer
Unterstützung, wie sie etwa Veteranen der Roten Armee erhielten, ausgeschlossen oder
hatten unter Beschränkungen in der Wahl ihres Berufes oder Wohnsitzes zu leiden. Für
viele Interviewte in Russland und der Ukraine bedeuteten erst die deutschen Entschä-
digungszahlungen Ende der 1990er Jahre eine erstmalige Würdigung ihres Schicksals
und gesellschaftliche Anerkennung.
Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen spiegelt die unterschiedlichen Bedeutungen, die
dem Konzentrationslager in den europäischen Erinnerungskulturen zugeschrieben
wurden. Nachdem das Areal 1947 von der sowjetischen Besatzungsmacht an die ös-
terreichische Regierung mit der Auflage übergeben worden war, eine würdige Gedenk-
stätte zu errichten, entstand 1949 eine der frühesten KZ-Gedenkstätten Europas. Ein
großer Teil der baulichen Relikte des Lagers wie die Baracken der Häftlinge und SS-
Wachmannschaften wurde in den Jahren der Umgestaltung demoliert ; für das offizielle
Österreich sollte die Gedenkstätte als Beleg für den Gründungsmythos der Zweiten
Republik – Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus – dienen.
Beginnend mit der Erinnerungswende im Zuge des Kalten Krieges ab 1948/49 und
besonders nach dem Staatsvertrag von 1955 verlor Mauthausen jedoch diese Bedeu-
tung in der österreichischen Erinnerungskultur, in der nun das Gedenken an die ge-
fallenen Soldaten des Krieges in den Vordergrund rückte. Das geringe Interesse der
österreichischen Politik, die in den 1950er Jahren durchaus einen kompletten Abriss
der Gedenkstätte erwog, ermöglichte es jedoch den Organisationen der Überleben-
den, größeren Einfluss auf die weitere Gestaltung der Gedenkstätte zu nehmen. Ab
1948 entstand dadurch allmählich der internationale Denkmalsbezirk, der nicht nur
die Denkmalsarchitektur der letzten 80 Jahre, sondern auch die jeweiligen Interpreta-
tionen des KZ Mauthausen in den europäischen Nachkriegsstaaten spiegelt. Politische
Veränderungen wie der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens oder separatistische
Tendenzen in Katalonien führten seit den 1990er Jahren und bis jetzt zu immer wieder
neuen Denkmalssetzungen für die nach national(istisch)en Kriterien (neu) definierten
Opfer des KZ Mauthausen.
In der österreichischen Geschichtspolitik waren ebenfalls (gesellschafts-)politische
Veränderungen ausschlaggebend, dass Mauthausen ab den 1970er Jahren eine wach-
sende Bedeutung in der offiziellen Erinnerung zukam : In der Kreisky-Ära wurde in
der Gedenkstätte eine erste Ausstellung eröffnet, zugleich begannen Gedenkstätten-
44 Vgl. Matthias Kaltenbrunner : Konstruktion eines Helden
– der «Karbyšev-Kult», unveröff. Projektbericht,
Wien 2010 ; ders.: Flucht aus dem Todesblock. Der Massenausbruch sowjetischer Offiziere aus dem
Block 20 des KZ Mauthausen und die «Mühlviertler Hasenjagd», Innsbruck et al. 2012 (Der Nationalso-
zialismus und seine Folgen, 5), Kap. 9.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen