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48 | Gerhard Botz
fische» Quellen, manchmal auch als lebensgeschichtliche Darstellungen publiziert oder
in anderen wissenschaftlichen Kontexten ausgewertet.
Geschichtlich orientierte Interviews in der NS- und Widerstandsforschung konzen-
trierten sich zunächst auf wenige sprechgewandte und interviewerfahrene Zeitzeugen, die
meist als politische Häftlinge Verfolgung und KZ überlebt hatten, deutschsprachig waren
und in Österreich lebten.4 Damit hatte die Oral History der NS-Verfolgungsgeschichte
in Österreich die hier lange Zeit bestehende Sichtverzerrung auch in der Geschichte der
Konzentrationslager auf Überlebende des je eigenen nationalen, sprachlichen und kultu-
rellen Kontextes, auf «Politische» und auf Männer zunächst nur wenig reduziert, sondern
eher noch verstärkt. Doch bald wandte sich das Forschungsinteresse zunehmend auch
als Juden und Jüdinnen kategorisierten und verfolgten Häftlingen zu. Bald erweiterte
sich dieses Thema zudem um die Lebensgeschichten von exilierten Österreichern und
Österreicherinnen im Ausland und es entstand ein lebendiger Forschungszweig, die Exil-
forschung.5 Sodann traten auch weibliche Überlebende und andere Opferkategorien wie
«Zigeuner» und Homosexuelle, ganz spät erst auch die sogenannten «Asozialen» und
«Kriminellen» ins Blickfeld der Forschung und Gedenkkultur.6 Damit wurden Angel-
4 Anmerkung von Gerhard Botz aufgrund persönlicher Wahrnehmungen in einem Beratungsgremium
des Bundesministeriums für Inneres für die Mauthausen-Reform im Jahre 1994/95 : Als es darum ging,
einen prominenten Redner für die Befreiungsfeier anlässlich des 50.
Jahrestages zu nominieren, stieß der
Vorschlag, Simon Wiesenthal zu nehmen, auf heftigen Widerstand im Gremium vertretener Funktionäre
der Überlebendenorganisationen «politischer» Häftlinge. Ein Argument war, dass die jüdischen Opfer
nicht den größten Anteil an den Mauthausen-Häftlingen hatten, sondern von sowjetischen Gefange-
nen übertroffen worden waren. Darüber entspann sich eine heftige Debatte, die sogar zu Schreiduellen
führte und schließlich doch mit der Einladung an Wiesenthal endete. Die Ansprache ist dokumentiert
in : Gerhard Botz et al.: KZ Mauthausen 1945–1995. 50 Jahre Befreiung. Dokumentation eines öffentli-
chen Erinnerungsrituals. Ergebnisse einer Lehrveranstaltung am Institut für Geschichte der Universität
Salzburg im Sommersemester 1995, zusammengest. v. Alexander Prenninger, Salzburg 1996 (LBIHS-Ar-
beitspapiere, 16).
5 Siehe die Initialzündung : Helene Maimann (Hg.) : Österreicher im Exil 1934 bis 1945. Protokoll des
Internationalen Symposiums zur Erforschung des österreichischen Exils von 1934 bis 1945, abgehalten
vom 3. bis 6. Juni 1975 in Wien, Wien 1977.
6 Andreas Kranebitter : Kollektivbiografie eines Nicht-Kollektivs ? Ein Werkstattbericht zur Erforschung
der «Berufsverbrecher» des KZ Mauthausen, in : Bundesministerium für Inneres (Hg.), Jahrbuch Maut-
hausen 2015. KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial. Forschung – Dokumentation – In-
formation, Wien 2016, S. 35–56 ; Alexander Prenninger : «Kriminelle» und «asoziale» Häftlinge in der
Lagergesellschaft des KZ Mauthausen (1938–1945), unveröff. Projektbericht (Jubiläumsfondsprojekt
Nr. 16450), Salzburg 2017 (Projekt am LBIHS, gefördert vom Jubiläumsfonds der Österr. Nationalbank,
2015–2017) ; Helga Amesberger et al.: «Arbeitsscheu und moralisch verkommen». Verfolgung von
Frauen als «Asoziale» im Nationalsozialismus, Wien 2019 ; dies.: Stigma asozial. Geschlechtsspezifische
Zuschreibungen, behördliche Routinen und Orte der Verfolgung im Nationalsozialismus, Wien 2020.
Siehe auch die frühen Arbeiten in Deutschland von Klaus Scherer : «Asozial» im Dritten Reich. Die
vergessenen Verfolgten, Münster 1990 ; Wolfgang Ayaß : «Asoziale» im Nationalsozialismus, Stuttgart
1995 ; Christa Schikorra : Kontinuitäten der Ausgrenzung. «Asoziale» Häftlinge im Frauen-Konzentra-
tionslager Ravensbrück, Berlin 2001 (Dokumente, Texte, Materialien, 41) ; Herbert Diercks et al. (Hg.) :
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen