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Mauthausen Survivors Documentation Project (2002/03) |
lagern und extremer Gewalt handelte, die oft vielfach traumatisiert waren.51 Auch
mehr als 50 Jahre nach der Befreiung litten viele der Opfer des nationalsozialistischen
Regimes nach wie vor an den Spätfolgen der Verfolgung. Ohne hier im Detail auf die
Symptome einer Traumatisierung eingehen zu können, sei dennoch darauf verwiesen,
dass auf zwei Aspekte besonders Bedacht genommen wurde : Erstens erleben psycho-
traumatisierte Menschen das Trauma immer wieder in Form von sogenannten flash
backs nach, was willentlich nicht beeinflussbar ist. Zweitens ist bei den schwer Trau-
matisierten ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten zu beobachten. Gemieden werden
bei solchen posttraumatischen Belastungsstörungen Menschen, Orte, Gespräche, die
an das Erlebnis erinnern. Hauptmerkmale des «Überlebenssyndroms» sind plötzlich
einsetzende Erregungs- und Angstzustände, ein anhaltendes Gefühl des Anders-Seins,
chronisch depressive Zustände, Störungen des Identitätsgefühls und stark variierende,
häufig schwerwiegende psychosomatische Begleiterscheinungen. Psychologische und
soziologische Studien haben jedoch gezeigt, dass das Ausmaß der Traumatisierung
bzw. deren Verarbeitungsmöglichkeiten auch vom sozialen und politischen Umfeld
nach der Befreiung abhängen. Für die Befragung von Mauthausen-Überlebenden wur-
den daher nur Interviewer und Interviewerinnen herangezogen, die mit der Problema-
tik der Traumatisierung und der Gefahr einer «sekundären Traumatisierung» durch
die Befragung vertraut waren. Ihnen sollte auch ein «Werkzeug» mitgegeben werden,
damit sie mit der Trauer, mit dem Schweigen, mit eventuellen Wutausbrüchen auf Sei-
ten der Überlebenden umgehen konnten, aber auch, wie sie sich selbst vor einer sekun-
dären Traumatisierung schützen konnten. Im Interviewtraining widmeten wir daher,
unterstützt durch David Vyssoki von der psychosozialen Einrichtung ESRA (Wien),
dem Aspekt der Traumatisierung und dem Umgang mit Überlebenden großes Augen-
merk. Ebenso sollten psychische Auswirkungen bei den Interviewenden selbst bedacht
werden, weshalb diesen die Inanspruchnahme von Supervision ermöglicht wurde.52
Unmittelbare quellenspezifische Ergebnisse
Erhebungsbögen und Datenbank
Begleitend zu den Interviews erfolgte im MSDP die Erstellung und Verwaltung einer
zentralen Datenbank zur Sammlung, Dokumentation und Indizierung der einlan-
genden Interviews inklusive der Artefakte. Sie umfasst Personendaten, Verhaftungs-
gründe, Daten zum Aufenthalt in Mauthausen und Außenlagern, eventuell Daten zu
51 Cathy Caruth : Unclaimed Experience. Trauma, Narrative, and History. Baltimore, MD/London 1996 ;
siehe dazu auch den Beitrag von Lara Silberklang in Band 4 dieser Publikation.
52 Siehe etwa David Vyssocki/Rainer Stoiber : Leben nach dem Überleben. Zur institutionellen Arbeit mit
Opfern der Shoah, in : Sonia Horn/Peter Malina (Hg.), Medizin im Nationalsozialismus. Wege der Auf-
arbeitung, Wien 2001, S. 227–239.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen