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Heinrich Berger und Alexander Prenninger
Die Interviewten des MSDP
Oral History und Quantifizierung
«Quantifizierung und ‹Mündliche Geschichte› stellen also in einer gewissen Hinsicht
die ‹erklärenden› und ‹verstehenden›, jedoch komplementären Gegenpole von Ge-
schichtswissenschaft dar», schrieb Gerhard Botz bereits vor drei Jahrzehnten und
meinte, dass «beide in der Forschungspraxis auf fruchtbare Weise einander ergänzen»
könnten, unter anderem etwa, indem «von wechselnden Gesichtspunkten und theore-
tischen Ansatzpunkten aus die Ebene der ĂĽberindividuellen Strukturen und die Ebene
der individuellen Befindlichkeiten und Erfahrungen zu vereinen» wären.1 Aus der
Perspektive des Jahres 2020 ist dieser Ansatz zum groĂźen Teil ein unerfĂĽlltes Anliegen
geblieben. Einerseits hat sich zwar die Oral History als Subdisziplin (oder eher Me-
thode) der Geschichtswissenschaften etablieren könnenÂ
– unterstützt durch den Boom
der Cultural Studies und Memory Studies –, gleichzeitig ist sie in der Analyse ihres
Quellenmaterials nach wie vor am «verstehenden» Pol, bleibt also der hermeneuti-
schen Tradition verhaftet.2 Andererseits ist die in den deutschsprachigen Ländern oh-
nehin nie zum Mainstream gelangte Quantifizierung im Rahmen einer «historischen
Sozialwissenschaft» durch den erwähnten Aufschwung an kultur- und erinnerungsge-
schichtlichen Forschungsansätzen noch randständiger geworden.3 Möglichkeiten, wie
sie die historische GIS-Forschung oder die historische Netzwerkforschung bieten, sind
1 Gerhard Botz : Neueste Geschichte zwischen Quantifizierung und «Mündlicher Geschichte». Überlegun-
gen zur Konstituierung einer sozialwissenschaftlichen Zeitgeschichte von neuen Quellen und Methoden
her, in : ders., Zeitgeschichte zwischen Politik, Biografie und Methodik, Köln 2016 (HSR Supplement,
28), S. 373–397, hier 390 ; Erstdruck in : ders. et al. (Hg.), «Qualität und Quantität.» Zur Praxis der Me-
thoden der historischen Sozialwissenschaft, Frankfurt a. M./New York 1988 (Studien zur historischen
Sozialwissenschaft, 10), S. 13–42. Vgl. auch Gerhard Botz : Oral History and Computing, in : Virginia
Davis et al. (Hg.), The Teaching of Historical Computing. An International Framework. A Workshop of
the International Association for History and Computing, University of London, 26-28Â February 1993,
St. Katharinen 1993, S. 63–68.
2 Vgl. dazu Pierre Bourdieu : Verstehen, in : ders. et al., Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen
alltäglichen Leidens an der Gesellschaft, Konstanz 1998, S. 779–822.
3 Vgl. dagegen die zahlreichen Arbeiten, die am Centre de recherche d’histoire quantitative in Caen ent-
standen sind und in denen mit quantifizierenden Methoden die Akten der französischen Deportierten
ausgewertet wurden, z. B. Adeline Lee : Les Français internés au sein du complexe concentrationnaire du
KL Mauthausen. Trajectoires, 5Â Bde., Diss. Univ. de Caen 2014 ; einen Ăśberblick bieten Bernard Garnier
etÂ
al. (Hg.) : La Répression en France 1940–1945, Caen 2007 (Collection «Seconde Guerre mondiale», 7).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen