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86 | Heinrich Berger und Alexander Prenninger
bisher zur Analyse von Interviews kaum genutzt worden.4 Der Aufschwung der Digital
Humanities hat allerdings auch vor der Oral History nicht haltgemacht. Nach Alistair
Thomson «befinden [wir] uns gerade mitten in einer vierten schwindelerregenden di-
gitalen Revolution der Oral History, und ihr Ausgang ist ungewiss».5 Die Möglichkei-
ten der Digitalisierung beschränken sich jedoch zumeist auf neue Aufnahmetechniken,
die Katalogisierung von Interviews, die Zugänglichmachung etwa in Online-Archiven
und die Verwendung etwa in musealen oder pädagogischen Kontexten.6
In der Forschung zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, aber auch
zum Holocaust, hat sich eine Verbindung von Oral History mit quantifizierenden Me-
thoden noch problematischer gestaltet. Bereits Hannah Arendt hat konstatiert, dass
das Geschehen in den Konzentrationslager «beyond human understanding» sei und
den Referenzrahmen der akzeptierten Forschungstechniken und wissenschaftlichen
Konzepte sprenge.7 Tatsächlich waren es jedoch gerade sozialwissenschaftliche Un-
tersuchungen, die am Beginn der KZ-Forschung standen – lange bevor sich die Ge-
schichtswissenschaft dem Thema zuwandte.8 Trotzdem ist die Skepsis gegenĂĽber
Methoden, die die Opfer des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungs-
4 Erinnerungsberichte verwenden z. B. Simone Gigliotti et al.: From the Camp to the Road. Representing
the Evacuations from Auschwitz, January 1945, in : Anne Kelly Knowles et al. (Hg.), Geographies of the
Holocaust, Bloomington, IN/Indianapolis 2014, S. 193–225. Vgl. Cornelia Thierbach et al. (Hg.) : Spa-
tial Analysis in the Social Sciences and Humanities. Towards Integrating Qualitative, Quantitative and
Cartographic Approaches, Köln 2014 (Historical Social Research, Special Issue 39.2). Zur historischen
Netzwerkforschung vgl. Alexander Prenninger : Räumliche und soziale Strukturen der Deportation.
Ein netzwerkanalytischer Ansatz, Vortrag am 10. Österreichischen Zeitgeschichtetag 2014, Klagenfurt
30. 9. 2014 ; allgemein Dora L. Costa/Matthew E. Kahn : Surviving Andersonville. The Benefits of Social
Networks in POW Camps, in : The American Economic Review 97.4 (2007), S. 1467–1487 ; Marten Dü-
ring et al. (Hg.) : Handbuch Historische Netzwerkforschung, Berlin et al. 2016 (Schriften des Kulturwis-
senschaftlichen Instituts Essen zur Methodenforschung, 1).
5 Alistair Thomson : Eine Reise durch das Gedächtnis unserer Bewegung. Vier paradigmatische Revolu-
tionen in der Oral History, in : Almut Leh/Lutz Niethammer (Hg.), Kritische Erfahrungsgeschichte und
grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Festschrift für Alexander von Plato, Leverkusen 2007, S. 21–29,
hier 27.
6 Vgl. Douglas A. Boyd/Mary A. Larson (Hg.) : Oral History and Digital Humanities. Voice, Access, and
Engagement, New York 2014 (Palgrave Studies in Oral History) ; Knud Andresen et al. (Hg.) : Es gilt das
gesprochene Wort. Oral History und Zeitgeschichte heute, Göttingen 2015, S. 12. Auch die IOHA-Konfe-
renz 2018 in Helsinki beschäftigte sich in einem Panel nur mit der Massendigitalisierung von Interviews
fĂĽr den Online-Zugang.
7 Hannah Arendt : Social Science Techniques and the Study of Concentration Camps, in : Jewish Social
Studies 12.1 (1950), S. 49–64, hier 50 f.
8 Eine Reihe dieser Arbeiten ist allerdings erst in jĂĽngster Zeit rezipiert worden, z. B. Paul M. Neurath : Die
Gesellschaft des Terrors. Innenansichten der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald, hg. v. Chris-
tian Fleck/Nico Stehr, Frankfurt a. M. 2004 [1951] ; Elmer G. Luchterhand : Einsame Wölfe und stabile
Paare. Verhalten und Sozialordnung in den Häftlingsgesellschaften nationalsozialistischer Konzentrati-
onslager, hg.Â
v. Andreas Kranebitter/Christian Fleck, Wien 2018 [1952] (Mauthausen-Studien, 11). Beide
Arbeiten sind bereits 1951 bzw. 1952 als Dissertationen entstanden.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen