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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik, Band 1
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139«Geschichtsforschung mit dem Taschenrechner» ? | heimlichen. Beispielhaft sei hier die Verschleierung der wahren Todesursachen vieler Häftlinge in den Totenbüchern und Sterbeurkunden der Lagerverwaltung genannt.15 Auch der «Normalfall» der Datenerhebung, also die Vermerkung personenbezoge- ner Daten der KZ-Häftlinge in unzähligen Listen ohne direkte Fälschungsabsicht durch diese oder die SS, war kein nicht-ideologischer Akt. Die Kategorienbildungen der SS waren Teil des Diskurses der nationalsozialistischen Bevölkerungswissenschaft16 und sollten zweifellos nicht die bloße Abbildung objektiver Merkmale ihrer Untersu- chungsobjekte, also der KZ-Häftlinge, im Rahmen einer Datenerhebung gewährleisten, sondern die Herrschaft der Lager-SS durch Klassifikation und Hierarchisierung einzel- ner Gruppen der Häftlingsgesellschaft sichern. Die Registrierungsprozedur sollte die Individualität der Personen brechen, den Menschen zur Nummer machen und ihn auf seine aufoktroyierte Kategorie reduzieren : «Das System der Klassifikation war nicht das Produkt gesellschaftlicher Ungleichheit, son- dern umgekehrt deren wichtigste Ursache. […] Der klassifikatorische Schematismus war kein Abbild der Sozialstruktur, diese war vielmehr eine Inkorporation der Macht. Die Kategorien bildeten die Ungleichheit nicht ab, sondern erzeugten sie.»17 Der aufgenähte Häftlingswinkel machte einen KZ-Häftling zu einem «Politischen», «Kriminellen», «Asozialen» usw. und schuf dadurch reale Unterschiede in der Zutei- lung zu unterschiedlichen Arbeitskommandos und in Bezug auf Versorgungsmöglich- keiten und schließlich Überlebenschancen. Auch andere Kategorien wie der Vermerk der Nationalität spiegelten keine objektive Realität wider, sondern überwiegend die rassistischen Kriterien der SS. Die vorhandenen Quellen führen insofern einen gewichtigen nationalsozialistischen Ballast mit sich ; die NS-Praxis der Datenerhebung im Allgemeinen setzt heutigen Ver- suchen der Datenauswertung erhebliche methodische Grenzen. Das «Gefangensein» in diesen SS-Praktiken der Datenerhebung ist jedem bekannt, der sich mit der Frage 15 Vgl. «Die Totenbücher des K.  L. Mauthausen», AMM, St/09/01. 16 Götz Aly und Karl Heinz Roth haben diesbezüglich in ihrer klassischen Studie nicht nur eine biografi- sche Nähe der Statistiker der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus festgestellt, die letztlich im Prozess des Erfassens und Säuberns des deutschen Volkskörpers von seinen vermeintlichen Fremdkör- pern tragische Folgen haben sollte, sondern zitieren hochrangige Statistiker wie Friedrich Zahn, den Vorsitzenden der Deutschen Statistischen Gesellschaft, sogar mit der These, dass Statistik auch «ihrem Wesen nach […] der nationalsozialistischen Bewegung nahe [steht].» Götz Aly/Karl Heinz Roth : Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus, Frankfurt a.  M. 2005, S. 12. Ihr Fazit legt nahe, einen quantitativen methodischen Ansatz grundsätzlich zu verwerfen : «Zählungen fördern die Macht des Objektiven, die Rationalität der Willkür. Auch ohne Missbrauch. Die verschiedenen Erfassungstechniken sind von den Nationalsozialisten benutzt, weiterentwickelt und nur selten ‹pervertiert› worden. Es ist unmöglich, die Auswüchse zu beseitigen, ohne den gesamten metho- dischen Ansatz aufzugeben.» Ebd., S. 16–17. 17 Wolfgang Sofsky : Die Ordnung des Terrors : Das Konzentrationslager, Frankfurt a.  M. 31999 [1993], S. 143. Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik Band 1
Titel
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band
1
Autoren
Gerhard Botz
Alexander Prenninger
Regina Fritz
Herausgeber
Heinrich Berger
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21217-1
Abmessungen
16.8 x 23.7 cm
Seiten
426
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen
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