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140 | Andreas Kranebitter
der Aufbereitung der von der SS erhobenen und geschaffenen Daten in Datenbanken
und ihren Auswertungen beschäftigt.
Dennoch kann die Behauptung, jede quantitative Aussage auf dieser Quellenbasis
sei sinnlos, nur als verfehlt bezeichnet werden : Zwar wäre es angesichts der Quellen-
lage ein leichtfertiger Trugschluss, etwa die Anzahl der polnischen Staatsbürger oder
der konfessionellen Juden ermitteln zu wollen bzw. davon auszugehen, dass dies mög-
lich ist, doch sind Aussagen über die Anzahl der von der SS als Polen und Juden ka-
tegorisierten Menschen deshalb noch lange nicht sinnlos. Im Gegenteil, gerade weil
die NS-Kategorien nicht nur strukturiert, sondern auch strukturierend waren, produ-
zierten sie im KZ sozusagen ihre eigene Realität. Menschen, die als Polen oder Juden
klassifiziert waren, wurden in ganz bestimmten Baracken untergebracht, auf ganz be-
stimmte Außenlager und Arbeitskommandos verteilt und hatten dadurch als spezifi-
sche Gruppe innerhalb des KZ eine ganz spezifische Überlebenswahrscheinlichkeit.
Die beschriebenen erheblichen Mängel machen quantitative Analysen – wie viele Au-
toren unterstreichen18 – neben anderen methodischen Ansätzen auf der Basis anderer
Quellengattungen vielleicht zweitrangig, doch keineswegs überflüssig.
Methodische Überlegungen : Quelle – Datenbank – Analyse
Sinnvoll eingesetzt können quantitative Methoden zunächst die Funktion erfüllen, als
wissenschaftliches Korrektiv für die erwähnte Problematik der politisch motivierten
«Zahlenspielereien» zu wirken.19 Zahlen, vor allem Opferzahlen, werden in beinahe
jeder themenbezogenen Publikation genannt – ob mit oder ohne Einsatz quantitati-
ver Methoden. Unrichtige Zahlen mögen zwar den Zweck verfolgen, Aufmerksamkeit
18 Harry Stein : Funktionswandel des Konzentrationslagers Buchenwald im Spiegel der Lagerstatistiken, in :
Ulrich Herbert et al. (Hg.), Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur,
Bd. 1, Göttingen 1998, S. 167–192, hier 188 ; Grotum, Das digitale Archiv, S. 250 ; Arnold Jürgens/Thomas
Rahe : Zur Statistik des Konzentrationslagers Bergen-Belsen : Quellengrundlagen, methodische Probleme
und neue statistische Daten, in : Kurt Buck (Hg.), Die frühen Nachkriegsprozesse, Bremen 1997 (Beiträge
zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 3), S. 128–148, hier 128. Ein
Beispiel für den Glauben an die Möglichkeiten statistischer Analysen ist Drahomír Bárta : «Außerdem
habe ich das Gefühl, dass die Forschung über die KZs einen großen Schritt weiter käme, wenn die bis
jetzt benutzte, vorwiegend historische Methode (auf der auch diese Arbeit fußt) durch tiefere, vielseitige
statistische Arbeiten, soziologische und psychologische Methoden und Analysen und theoretische Ab-
handlungen bereichert werden würde. So könnten wir zu einer tieferen Synthese und zu einem tieferen
Verständnis vieler zugehöriger allgemeiner historischer Erscheinungen gelangen.» Bárta, Tagebuch, S. 98.
19 «Zunächst ist Quantifizierung daher eine stringentere Form der Beschreibung in einer formalen Sprache,
die im Prinzip nichts Neues ist.» Konrad H. Jarausch et al.: Quantitative Methoden in der Geschichts-
wissenschaft. Eine Einführung in die Forschung, Datenverarbeitung und Statistik, Darmstadt 1985 (Die
Geschichtswissenschaft. Einführungen in Gegenstand, Methoden und Ergebnisse ihrer Teildisziplinen
und Grundwissenschaften), S. 2.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen