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150 | Andreas Kranebitter
nis der historischen Entwicklung des KZ Mauthausen, andererseits die Notwendigkeit
multivariater Verfahren, wenn es um statistische Analysen geht.
Der Blick auf die zeitliche Dimension ist also unabdingbar für Quantifizierungen.
Dass die Sterblichkeit – ebenso wie die Zahl der Einlieferungen und damit der Häft-
lingsstand – über die Jahre des Bestehens des KZ Mauthausen hinweg in höchstem
Maße schwankt, ist bekannt und wird durch Grafik 2 dargestellt. Sie zeigt die Anzahl
der Verstorbenen pro Tag von 1938 bis 1945.
Die einzelnen, deutlich hervortretenden Spitzen (vertikale Striche) belegen nichts
anderes als einzelne Vernichtungsaktionen der SS, so zum Beispiel die Vergasung von
261 tschechischen Männern, Frauen und Kindern am 24. Oktober 1942 als Vergel-
tungsmaßnahme für das Attentat auf Reinhard Heydrich in Prag, ebenso die diversen
Selektionen, in denen arbeitsunfähige Häftlinge aus Mauthausen und Gusen zur Ver-
nichtung in die Tötungsanstalt des Schlosses Hartheim gebracht wurden. Allgemein
zeigt das Jahr 1942 eine höhere Anzahl an Todesfällen als die unmittelbar darauf fol-
gende Phase, in der die ökonomischen Kalküle der Ausbeutung der Häftlingsarbeits-
kraft über das Ziel der Vernichtung dominierten. Ablesbar ist auch die größere Anzahl
an Todesfällen in den Wintermonaten und damit die von Michel Fabréguet hervorge-
hobene Bedeutung der Jahreszeiten für die Sterblichkeit.
Die zeitlichen Veränderungen betreffen allerdings die diversen Häftlingsgruppen
nicht auf gleiche Weise ; zu beobachten sind vielmehr teils starke Verschiebungen der
Stellung einer gesamten Gruppe in der Häftlingsgesellschaft. Tabelle 3 zeigt die Verän-
derung der Mortalität nach Haftkategorien in den Jahren 1942 bis 1945. Als Mortalität
ist in diesem Fall der Anteil der Verstorbenen an der Gesamtzahl der Inhaftierten einer
bestimmten Haftkategorie zu verstehen, die zu irgendeiner Zeit des betreffenden Jah-
res Häftlinge des KZ Mauthausen waren. Insgesamt waren zum Beispiel 1055 Personen
im Jahr 1938 Häftlinge der Haftkategorie «Berufsverbrecher», von denen 33 Personen,
also 3,1 Prozent, auch im Jahr 1938 verstarben.
Die Unterschiede sind enorm : Eine Sterblichkeit von durchschnittlich 43,2 Prozent
im Jahr 1942 steht beispielsweise einer Sterblichkeit von 15,3 Prozent im Jahr 1944
gegenüber. Diese Entwicklung unterstreicht die Bedeutung des «Funktionswandels»
des KZ Mauthausen ab Ende 1942, das heißt die zunehmenden Bedeutung der ökono-
mischen Ausbeutung der Häftlingsarbeitskraft für die SS ab Anfang des Jahres 1943.48
Erst in der Endphase des KZ Mauthausen steigt die Sterblichkeit erneut deutlich an
und erreicht einen Anteil, der über jenem der Jahre 1943 und 1944, aber auch unter
jenem der Jahre 1941 und 1942 liegen dürfte.49 Trotz dieser relativ gesehen niedrigeren
48 Siehe dazu für den KZ-Komplex Mauthausen Bertrand Perz : Der Arbeitseinsatz im KZ Mauthausen, in :
Herbert et
al. (Hg.), Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 2, S. 533–557 ; vgl. auch Freund,
Die Toten von Ebensee, S. 345.
49 Der Wert für 1945 ist zwar unterschätzt, da ein hoher Anteil der nicht registrierten Häftlinge verstarb
und die Todesfälle ab Ende April 1945 nur lückenhaft dokumentiert sind ; doch selbst bei Einbeziehung
dieser Todesfälle ergibt sich kein Anteil, der der Mortalität der Jahre 1941 oder 1942 entsprechen würde.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen