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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik, Band 1
Seite - 158 -
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158 | Andreas Kranebitter Zum anderen kann das Ergebnis der Berechnung als bedeutendes Gegengewicht gegen die von mehreren Autoren und Autorinnen, so unter anderen Wolfgang Sofsky, vertretene konstruktivistische These ins Feld geführt werden, die von der SS vergebe- nen Kategorien Nationalität und Haftkategorie hätten die Situation des Einzelnen am bedeutendsten geprägt und definiert. Davon auszugehen, dass die Stellung des Einzel- nen innerhalb der Hierarchie der Häftlingsgesellschaft wesentlich durch die ihn betref- fende rassistisch definierte Eigenschaft, sozusagen durch seine «Koordinaten» auf der zweidimensionalen Nationalität-Haftkategorie-Achse geprägt war, ist angesichts des bedeutenden Gewichts anderer Faktoren eine zu relativierende Vereinfachung. Das Ergebnis zwingt insofern (mit Blick auf die Bedeutung des Einlieferungszeitpunkts) zu einer komplexeren «diachronen» Sicht auf einzelne Faktoren : Die Nationalität des Einzelnen scheint vor allem am Anfang der Haft und vor allem zu bestimmten Zeiten der Lagergeschichte eine Rolle gespielt zu haben. Anders gesagt : Ein Pole, der schon 1940 in Mauthausen eingeliefert wurde, hatte es erheblich schwerer als ein Pole, der 1941 nach Mauthausen deportiert wurde ; ebenso hatten sowjetische oder spanische Häftlinge 1941 geringere Überlebenschancen als 1942. Die Bedeutung der «Nationali- tät» im Allgemeinen und jeder spezifischen Nationalität im Besonderen kann insofern überhaupt erst durch den Einlieferungszeitpunkt Sinn ergeben  – durch die Einbezie- hung der Fragen, wie Angehörige der betreffenden Nationalität zu einem bestimmten Zeitpunkt von der SS behandelt wurden, ob sie die letzte Gruppe der Neuankömmlinge stellten und in welcher Phase der Geschichte des KZ-Systems sie deportiert wurden. Durch einen synchronen Schnitt durch die Häftlingsgesellschaft ohne jede Berücksich- tigung dieser zeitlichen Dimension kann die These der Bedeutung von Nationalität und Haftkategorie ganz einfach nicht bestätigt werden. Zusammenfassend kann behauptet werden, dass statistische Analysen auf der Ba- sis von Lagerdokumenten nur vor dem Hintergrund von Erinnerungsberichten inter- pretierbar sind, dass sie umgekehrt aber auch zu einer Bewertung von Erinnerungen beitragen können, das heißt, dass sie die eine Wahrnehmung falsifizieren oder den anderen voreiligen und tradierten Schluss widerlegen können. Darüber hinaus können sie Erklärungen liefern, die mit Hilfe anderer Quellengattungen nicht feststellbar sind. Die Interpretation der Zahlen bedingt dabei allerdings eine umfassende Quellenkritik, da sie letztlich die Beschränkungen ihrer Quellen berücksichtigen muss.64 Perspektivisch müssten Modelle wie das im vorliegenden Beitrag beschriebene zum Ersten zusätzliche Daten miteinbeziehen, um weitere Aussagen zu ermöglichen  – 64 Es geht nicht nur in Bezug auf die Nationalität und Haftkategorie einer Person, sondern auch mit Blick auf die berechnete Mortalität diverser Häftlingsgruppen nur um jene Mortalität, wie sie in den Lagerdo- kumenten erscheint  – nicht um die tatsächliche Mortalität, die mit Sicherheit über den obigen Werten liegen kann. Ein besonderes Problem ist hier wiederum das der nicht registrierten Häftlinge. Es geht bei allen oben genannten Zahlen nur um Tendenzen, nicht um die absolute Größe  – diese Tendenzen lassen sich allerdings auch auf der Basis der obigen Zahlen feststellen. Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik Band 1
Titel
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band
1
Autoren
Gerhard Botz
Alexander Prenninger
Regina Fritz
Herausgeber
Heinrich Berger
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-21217-1
Abmessungen
16.8 x 23.7 cm
Seiten
426
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen
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