Seite - 167 - in Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik, Band 1
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167Besatzer,
Besetzte und Verfolgung in Hitlers Europa |
Auf die sogenannte Befriedung folgte dann das zentrale kurzfristige Ziel der deut-
schen Besatzungsherrschaft, die materielle Ausbeutung. Die deutsche Kriegführung
war riskant, ohne ausreichende Ressourcen angelegt und sollte letztendlich aus den
Mitteln der anderen, der Unterworfenen leben. Dies bedeutete zunächst eine kurz-
fristige Zerstörung des gegnerischen Wirtschaftspotenzials und maximale Plünderung,
aber auch den Raub an Nahrung zugunsten der Wehrmacht. Bald waren diese Poten-
ziale erschöpft und man musste nolens volens wieder eine Wirtschaftstätigkeit in Gang
bringen. So entwickelten die Verwaltungen zunehmend ein Eigeninteresse daran, das
Leben in ihrem Herrschaftsbereich aufrechtzuerhalten. Ab 1941/42, als der Krieg aus
deutscher Sicht nicht mehr so erfolgreich lief, rückte dann die menschliche Arbeits-
kraft ins Zentrum des Interesses der Besatzer.
Eigentlich war die Schaffung einer neuen, nationalsozialistischen Ordnung für Eu-
ropa ein Nachkriegsziel des Regimes. Da der Krieg jedoch nicht erfolgreich beendet
werden konnte, begann man schon vorher mit den anvisierten Eingriffen. Im Gegen-
satz zum besetzten Westeuropa sollte der Osten nicht nur politisch, sondern als ver-
meintlicher deutscher «Lebensraum» auch demografisch und wirtschaftlich umgestal-
tet werden. Im Hintergrund wurden zu diesem Zweck immer radikalere Planungen
von Raumordnungsstellen und der SS entwickelt, die schließlich in den sogenannten
«Generalplan Ost» mündeten, der die Deportation von nicht weniger als 31 Millionen
Menschen mit undefiniertem Ziel zum Inhalt hatte. Tatsächlich gelang es den Dienst-
stellen von SS, Polizei und Umsiedlungsbehörden aber nicht, über erste Ansätze zur
Verwirklichung dieser monströsen Projekte hinauszugelangen – und diese waren für
die Betroffenen schon schlimm genug. Allein innerhalb Polens wurden etwa eine Mil-
lion Menschen in andere Gebiete deportiert.7
Die Verfolgung der Juden nahm in diesem Zusammenhang immer einen spezifi-
schen Platz ein.8 Jede deutsche Besatzung begann nicht nur mit der Verhaftung oder
7 Vgl. Isabel Heinemann : Rasse, Siedlung, deutsches Blut. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und
die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003 (Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Ge-
sellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 2).
8 Zum Folgenden exemplarisch die Regional- und Lokalstudien : Michael Alberti : Die Verfolgung und
Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939–1945, Stuttgart 2006 (Deutsches Historisches
Institut Warschau. Quellen und Studien, 17) ; Andrej Angrick/Peter Klein : Die «Endlösung» in Riga.
Ausbeutung und Vernichtung 1941–1944, Darmstadt 2006 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle
Lud wigsburg der Universität Stuttgart, 6) ; Jacek Młynarczyk : Judenmord in Zentralpolen. Der Distrikt
Radom des Generalgouvernements 1939–1945, Darmstadt 2007 (Veröffentlichungen der Forschungs-
stelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, 9) ; Bogdan Musiał : Deutsche Zivilverwaltung und Juden-
verfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939–1944, Wiesbaden 1999
(Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 10) ; Dieter Pohl : Nationalsozialistische
Judenverfolgung in Ostgalizien 1941–1944. Organisation und Durchführung eines staatlichen Massen-
verbrechens, München 1996 (Studien zur Zeitgeschichte, 50) ; Barbara Engelking et
al. (Red.) : Prowincja
noc. Życie i zagłada Żydów w dystrykcie warszawskim [Provinz der Nacht. Leben und Vernichtung der
Juden im Distrikt Warschau], Warszawa 2007 ; Sybille Steinbacher : «Musterstadt» Auschwitz. Germani-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen