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168 | Dieter Pohl
Ermordung der politischen Eliten, sondern auch mit Gewalt gegen Juden, mit ihrer
totalen Entrechtung, Beraubung und oftmals auch Isolierung. So hatte es die deut-
sche Besatzungsverwaltung, die für die Unterdrückung maßgeblich verantwortlich
war, alsbald mit einer verarmten Minderheit zu tun, für deren Minimalversorgung die
Besatzer selbst aufkommen mussten. In diesem Kontext von allgemeiner Unterdrü-
ckung und Ausbeutung war der Antisemitismus bei den Verwaltern im Osten noch
weit stärker ausgeprägt als im «Reich». Betrachtete man zumeist schon die in rassisti-
scher Terminologie zusammengefassten Slawen als minderwertig, so wurden die Juden
als noch niedriger stehend angesehen. In der Sowjetunion galten sie in den Augen der
Nationalsozialisten und vieler anderer Deutscher als bolschewistisch und besonders
gefährlich. Diese Einstellung hatte fatale Konsequenzen. Während die nichtjüdischen
Einheimischen noch irgendwie über die Runden kommen sollten, um als billige Ar-
beitskräfte dienen zu können, war man gegenüber den Juden schnell mit Projekten
zur Abschiebung, zur totalen Isolierung in Ghettos und schließlich zur Ermordung zur
Hand. Die Hemmschwelle war hier auf den niedrigsten Punkt gesenkt worden.
Sieht man sich nun die Massenverbrechen unter deutscher Besatzung in Osteuropa
genauer an, so wird offensichtlich, dass diese zunächst vor allem von SS, Polizei und
teilweise auch von der Wehrmacht ausgingen. Bereits während des Polenkrieges im
September 1939 erschossen diese Tausende von Angehörigen der polnischen Eliten,
aber auch Juden oder schlichtweg Opfer überzogener Repressalien. Das eigentliche
deutsche Verwaltungspersonal betrat die Szene erst etwas später, lehnte Mord als Mit-
tel der Politik aber keineswegs ab. So waren die Verwaltungen frühzeitig an der Ermor-
dung polnischer Psychiatriepatienten beteiligt, die sogar noch vor der sogenannten
«Euthanasie»-Aktion im Deutschen Reich begann.9
Insbesondere in den eingegliederten Gebieten Polens übernahmen die Gauleitun-
gen, die hier weitgehend mit der Innenverwaltung verschmolzen waren, immer wieder
wichtige Funktionen bei den Gewaltaktionen oder traten selbst mit entsprechenden In-
itiativen hervor. So drängten sie auf die Deportation aller Juden und aller unerwünsch-
ten Polen aus ihrem Zuständigkeitsbereich. Oft mündete dies in brutale Vertreibungs-
aktionen ; so mussten schon Ende 1939 alle Juden den Reichsgau Danzig-Westpreußen
verlassen. Die anvisierte Verschleppung von über eine Million Einwohnern aus den
Westgebieten scheiterte jedoch schließlich am Widerstand der Aufnahmegebiete, das
heißt an der weiter östlich agierenden Besatzungsverwaltung.10
Voll in den Besatzungsapparat integriert war auch die Sonderjustiz im besetzten
Polen, die ebenso als Teil der Zivilverwaltung anzusehen ist. Die Sondergerichte ver-
sierung und Judenmord in Ostoberschlesien, München 2000 (Darstellungen und Quellen zur Geschichte
von Auschwitz, 2).
9 Volker Rieß : Die Anfänge der Vernichtung «lebensunwerten Lebens» in den Reichsgauen Danzig-West-
preußen und Wartheland 1939/40, Frankfurt a. M. et al. 1995.
10 Götz Aly : «Endlösung». Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt a. M.
1995.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen