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186 | Karin Orth
der Sinti und Roma sowie zum Teil auch der Rekrutierung von Arbeitskräften für die
SS. So wurden in der «Aktion Arbeitsscheu Reich» (ASR) zahlreiche arbeitsfähige
Männer aus den «Zigeunerlagern» selektiert und in die KZ überstellt. Die Bedingun-
gen in den «Zigeunerlagern» waren von den örtlichen Begebenheiten abhängig, hatten
jedoch fast ausnahmslos haftähnlichen Charakter. Hinzu kam, dass die Insassen auch
dort zur Arbeit gezwungen wurden und bei jedem «Vergehen» KZ-Haft drohte. In den
«Zigeunerlagern» selbst blieb die Sterblichkeit jedoch gering, da der Tod dort nicht in-
tendiert war. Die lokalen «Zigeunerlager» erwiesen sich vielmehr seit 1941/42 als Aus-
gangspunkt für die Deportation der Sinti und Roma in die Vernichtungsstätten und
-lager im Osten ; sie sind daher als «antechamber to Birkenau» (Sybil Milton) bezeichnet
worden. Geschätzt wird, dass etwa die Hälfte aller Sinti und Roma im Deutschen Reich
(einschließlich Österreich und Böhmen und Mähren) vor der Deportation zumindest
zeitweise in einem «Zigeunerlager» inhaftiert war.
Auch die sogenannten «Jugendschutzlager» dienten der Isolation und «Verwahrung»
von «Gemeinschaftsfremden». Nach dem heutigen Forschungsstand können min-
destens drei «Jugendschutzlager» nachgewiesen werden :13 das «Jugendschutzlager»
Morin gen für männliche Jugendliche, das im August 1940 eingerichtet wurde, das seit
Juni 1942 bestehende «Jugendschutzlager» Uckermark für weibliche Jugendliche sowie
das Ende 1942 eröffnete «Polenjugendverwahrlager» in Litzmannstadt/Łódź für pol-
nische Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts.14 In die Lager sollten «asoziale»,
«kriminelle», «verwahrloste» bzw. «unerziehbare» Jugendliche eingewiesen werden –
de facto boten die Kriterien einen weiten Spielraum, um Kinder und Jugendliche zu
inhaftieren, die (aus welchen Gründen auch immer) auffällig waren bzw. als missliebig
galten. Es ist davon auszugehen, dass in Moringen etwa 1400, in Uckermark etwa 1200
und in Litzmannstadt/Łódź mehrere Tausend Kinder und Jugendliche eingesperrt wa-
ren. Die Inhaftierung erfolgte häufig unter Bezugnahme auf den Vorbeugehafterlass
vom 14. Dezember 1937, mit dem sich Polizei und SS den Zugriff auf die sogenannten
«Asozialen» und «Arbeitsscheuen» gesichert hatten. Seit 1942 ging die Gestapo zudem
dazu über, politische «Schutzhaft» gegenüber Jugendlichen in den «Jugendschutzla-
13 Martin Guse : Die Jugendschutzlager Moringen und Uckermark, in : Benz/Distel (Hg.), Ort des Terrors,
Bd. 9, S. 100–114 ; Beate Kosmala : Das Polenjugendverwahrlager der Sicherheitspolizei in Litzmannstadt/
Łódź, in : ebd., S. 115–124. Zu Moringen zudem Manuela Neugebauer : Der Weg in das Jugendschutzlager
Moringen. Eine entwicklungsgeschichtliche Analyse nationalsozialistischer Jugendpolitik, Mönchen-
gladbach 1997 (Schriftenreihe der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen,
28).
14 Ähnliche Funktion und Organisation hatten vermutlich das «Ost-Jugendverwahrlager der Sicherheits-
polizei» in der Nähe von Łódź, das seit Sommer 1943 für die Inhaftierung von rund 1500 Kindern und
Jugendlichen aus der Sowjetunion (überwiegend aus Weißrussland und Russland) genutzt wurde (Kos-
mala, Polenjugendverwahrlager, S. 121), sowie das «Jugenderziehungslager» Niederganingen an der Mo-
sel, das von 28. 10. 1941 bis 21. 9. 1942 bestand (Cord Pagenstecher : Arbeitserziehungslager, in : Benz/
Distel (Hg.), Ort des Terrors, Bd. 9, S. 75–99, hier 92 und 99, Fn. 87).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen