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188 | Karin Orth
nenstruktur der Häftlingsgruppen erneut tief greifend, wohl in noch stärkerem Maße
als 1937/38. An die Stelle des Winkelsystems der Vorkriegszeit trat eine auf rassisti-
schen Kriterien beruhende nationale Hierarchisierung der Gefangenengruppen. Cha-
rakteristisch für das KZ-System in der ersten Kriegshälfte ist zudem der Übergang zu
systematischen Massenmordaktionen. Die SS hatte die Konzentrationslager zwar seit
Beginn ihres Bestehens dazu genutzt, um bestimmte Personen oder Häftlingsgruppen
zu töten. Im Frühjahr 1941 fanden nun jedoch erstmals systematisch und planmäßig
Massenmordaktionen statt, die das gesamte KZ-System durchzogen. Die erste derartige
Aktion richtete sich gegen die kranken, schwachen und damit arbeitsunfähigen KZ-
Häftlinge, die zweite gegen die sowjetischen Kriegsgefangenen (auf diese Mordaktion
wird weiter unten einzugehen sein). Seit April 1941 bereiste eine Ärztekommission
der mit der «Euthanasie» befassten, nach ihrem Sitz in der Berliner Tiergartenstraße 4
benannten Tötungsorganisation «T4» die KZ, um kranke und geschwächte Häftlinge
auszusondern. Die Lager-SS nutzte die Tötungsaktion auch, um sich jüdischer und po-
litisch missliebiger Häftlinge zu entledigen. Die ausgesuchten Gefangenen wurden in
die «Euthanasieanstalten» transportiert und dort in Gaskammern durch Kohlenmon-
oxid getötet. Mehr als 10.000 Häftlinge fanden in der nach einem Aktenkürzel «Aktion
14 f 13» genannten Mordprogramm den Tod.
Die Aktion «14 f 13» brachte die nationalsozialistische Terrorstätte KZ in Verbin-
dung mit den «Euthanasieanstalten» der «T4». Die «Euthanasie», verkürzt als «natio-
nal sozialistischer Krankenmord» umschrieben, hatte mit dem Krieg und den sich
dadurch eröffnenden Handlungsspielräumen begonnen. Je nach Verfolgtengruppe,
Zeitpunkt der Durchführung und verantwortlicher Entscheidungsinstanz können fol-
gende Aktionen unterschieden werden (die sich in der historischen Realität gleichwohl
überschnitten und zusammenhingen) : die sogenannte «Kindereuthanasie» ; die regio-
nal initiierte und in die Tat umgesetzte Ermordung der Psychiatriepatienten durch die
SS in den preußischen Ostprovinzen, den besetzten Gebieten Westpolens, später auch
in der Sowjetunion ; die Ermordung der jüdischen Anstaltspatienten im Deutschen
Reich ; die bereits erwähnte Aktion «14 f 13» in den Konzentrationslagern ; schließlich
die zentral organisierte und arbeitsteilig durchgeführte Aktion «T4», in der zwischen
Jänner 1940 und Ende August 1941 etwa 70.000 Psychiatriepatienten selektiert, begut-
achtet, direkt oder über Zwischenstationen in die sechs «Euthanasieanstalten» Gra-
feneck, Brandenburg, Bernburg, Hadamar, Hartheim und Sonnenstein transportiert
und dort in Gaskammern mit Kohlenmonoxid getötet wurden.
Es kann hier nicht der Platz sein, um die beteiligten Organisationen, die zentralen
Akteursgruppen und die einzelnen Radikalisierungsschritte der genannten Aktionen
detailliert darzustellen,17 und auch nicht, um den «weltanschaulichen» Zusammenhang
17 Eine Synthese bietet nun Brink, Grenzen der Anstalt. Zu den einzelnen Aktionen vgl. zudem die grund-
legenden Arbeiten von Thomas Beddies/Kristina Hübner (Hg.) : Kinder in der NS-Psychiatrie, Berlin
2004 (Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte des Landes Brandenburg, 10) ; Monica Kingreen : Jüdische
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen