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191Nationalsozialistische
Terrorstätten |
ganges mit den über 600.000 polnischen Arbeiterinnen und Arbeitern, die aus natio-
nalsozialistischer Sicht eine volkstumspolitische Gefahr darstellten, erließ Himmler
am 8. März 1940 ein ganzes Paket von Erlassen. Hier wurde unter anderem auch fest-
gelegt, dass die polnischen Zwangsarbeiter in Lagern unterzubringen seien.
Die zweite große Gruppe von ausländischen Arbeitskräften, die in der ersten Kriegs-
hälfte im Deutschen Reich lebten, bestand aus den sogenannten «Westarbeitern». Es
handelte sich im Wesentlichen um Arbeiter und Arbeiterinnen, die in den mit dem
Deutschen Reich verbündeten Ländern und in den besetzten Gebieten in West- und
Nordeuropa angeworben worden und meist freiwillig nach Deutschland gekommen
waren, und um rund eine Million französische Kriegsgefangene, die man ebenfalls zur
Zwangsarbeit heranzog. Auch für den Umgang mit den «Westarbeitern» gab es spezi-
elle Richtlinien, die jedoch weniger streng waren als die Erlasse für die Behandlung der
polnischen Arbeitskräfte. So hatten viele «Westarbeiter» zum Beispiel die Möglichkeit,
sich Privatquartiere zu suchen.
Zur Jahreswende 1941/42 befanden sich über zwei Millionen «Fremdarbeiter» im
Deutschen Reich, darunter etwa die Hälfte aus Polen. Ein großer Teil von ihnen ar-
beitete in der Landwirtschaft und war dort nicht in Lagern, sondern direkt auf den
Bauernhöfen untergebracht. Für die in der Landwirtschaft tätigen Zivilarbeiter war der
Reichsnährstand zuständig. Für alle anderen Zwangsarbeiter, die in der Industrie ein-
gesetzt waren und meist in Lagern lebten, zeichnete die Deutsche Arbeitsfront (DAF)
verantwortlich. Die historische Forschung der letzten Jahre kommt zu dem Schluss,
dass die Zustände für die ausländischen Zivilarbeiter bis 1942 im Allgemeinen als «ei-
nigermaßen erträglich» anzusehen sind.21
Die zweite Phase des «Ausländer-Einsatzes» begann 1942 mit dem sogenannten
«Russeneinsatz». Im Deutschen Reich zeichnete sich Ende 1941 ein vehementer Ar-
beitskräftemangel insbesondere in den Rüstungsbetrieben ab. Der Grund dafür war der
ins Stocken geratene Vormarsch der Wehrmacht in der Sowjetunion, auf den eine mas-
sive Einberufungswelle folgte. Der deutschen Kriegswirtschaft fehlten schätzungsweise
1,5 Millionen Arbeitskräfte. Erstmals gerieten nun sowjetische Arbeitskräfte ins Visier
der Deutschen, während ihr Einsatz im Deutschen Reich in der ersten Kriegshälfte aus
rassistischen und sicherheitspolitischen Gründen noch als undenkbar gegolten hatte.
Anders als im «Poleneinsatz» ergriff man fast ausschließlich zivile Arbeiterinnen und
Arbeiter, da die meisten sowjetischen Kriegsgefangenen, die seit Sommer 1941 in die
Hände der Wehrmacht geraten waren, im Winter 1941/42 entweder bereits gestorben
oder zu stark entkräftet waren. Auf ihr Schicksal wird weiter unten zurückzukommen
21 Baganz, Lager, S. 256. Für die Verhältnisse in der Landwirtschaft vgl. ausführlich Ela Hornung et al.:
Zwangsarbeit in der Landwirtschaft, in : Jörg Echternkamp (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite
Weltkrieg. Bd. 9/2 : Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939 bis 1945. Ausbeutung, Deutungen, Ausgren-
zung, München 2005, S. 577–666 ; zu den Verhältnissen in der Industrie Oliver Rathkolb : Zwangsarbeit
in der Industrie, in : ebd., S. 667–727.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen