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198 | Karin Orth
genenlager oder Kriegsgefangenenarbeitslager.40 Es handelte sich im Grunde lediglich
um gesondert abgezäunte Bereiche der Schutzhaftlager ; die SS trug die hier zusam-
mengepferchten sowjetischen Kriegsgefangenen in die Lagerregistratur nicht ein. Die
IKL wies die Lagerkommandanten an, die Soldaten «in primitivster Form» unterzu-
bringen ; zudem wurde die Versorgung auf weniger als ein Minimum reduziert.41 Die
insgesamt rund 30.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, welche die Wehrmacht im
Herbst 1941 an die SS übergab,42 starben in den KZ binnen kurzer Zeit an Unterernäh-
rung, Krankheiten und Seuchen. Am 1. März 1942 waren nur noch etwa 7500 Män-
ner am Leben.43 Zudem wurden auch in den Kriegsgefangenenarbeitslagern der SS
«politische Kommissare» ausgesondert und getötet. In Auschwitz suchte beispielsweise
eine Gestapo-Sonderkommission aus Kattowitz im Oktober und November 1941 von
den insgesamt in Auschwitz inhaftierten 10.000 sowjetischen Kriegsgefangenen etwa
tausend «Kommissare» aus ; mindestens 300 wurden erschossen.44 Zum Teil wählte die
SS – wie etwa in Auschwitz – die sowjetischen Kriegsgefangenen auch zu selbständig
durchgeführten Tötungsexperimenten aus.
Im FrĂĽhjahr 1942 lebten rund 75Â Prozent der ursprĂĽnglich etwa 30.000 sowjeti-
schen Kriegsgefangenen, die in die Kriegsgefangenenlager der KZ ĂĽberstellt wor-
den waren, nicht mehr. Auch in den Lagern der Wehrmacht war bis FrĂĽhjahr 1942
ein groĂźer Teil der Gefangenen ermordet worden.45 Je nach Gebiet starben bis zum
Frühjahr 1942 bis zu 85 Prozent der Gefangenen. Die Todesursachen waren – wie in
den Kriegsgefangenenlagern der KZ – Hunger, Schwäche, Kälte und daraus resultie-
rende Krankheiten. Zudem wurde eine unbekannte Zahl von sowjetischen Kriegs-
gefangenen (bis 1945 wahrscheinlich Hunderttausende) von Wehrmachtssoldaten
erschossen, vor allem auf Märschen und Transporten. Annähernd zwei Millionen
der 3,35Â Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die von Sommer bis Ende 1941
in die Hände der Deutschen gefallen waren, hatten bis Frühjahr 1942 vorwiegend in
40 Zu den Kriegsgefangenen(arbeits)lagern in den KZ vgl. nun auch Jan Erik Schulte : Die Kriegsgefange-
nen-Arbeitslager der SS 1941/42. Größenwahn und Massenmord, in : Ibel (Hg.), Einvernehmliche Zu-
sammenarbeit, S. 71–90.
41 Fernschreiben der IKL an den Lagerkommandanten des KZ FlossenbĂĽrg vom 15. 9. 1941, abgedr. in :
Johannes Tuchel : Die Inspektion der Konzentrationslager 1938–1945. Das System des Terrors. Eine Do-
kumentation, Berlin 1994 (Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 1), S. 73.
42 Zahlen nach Keller/Otto, Kriegsgefangene, S. 33. 1942/43 kamen nochmals etwa 5000 Kriegsgefangene
hinzu, die vorwiegend nach Majdanek gebracht wurden ; vgl. ebd.
43 Nach den Statistiken des OKW lebten am 1. 3. 1942 noch 7479 von 30.000 Männern, zit. nach Keller/Otto,
Kriegsgefangene, S. 31.
44 Danuta Czech : Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau 1939–1945,
Reinbek 22008 [1989], S. 143.
45 Die folgenden Zahlen nach Gerlach, Ausweitung, S. 49 u. 55 f.; Overmans, Kriegsgefangenenpolitik,
S. 811, geht sogar davon aus, dass im Frühjahr 1942 «der überwiegende Teil» der 3,35 Millionen Kriegs-
gefangenen nicht mehr lebte. Opfer einer «Sonderbehandlung» seien etwa 38.000 Männer geworden ; vgl.
ebd., S. 815.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen