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201Nationalsozialistische
Terrorstätten |
Betrieb aufbringen sollte. So zog man im Ghetto Litzmannstadt/Łódź bis Sommer 1941
rund 40.000 Menschen zur Zwangsarbeit heran, hinzu kamen bis Frühjahr 1942 wei-
tere 12.000 jüdische Arbeitskräfte in privaten Firmen außerhalb des Ghettos.51 Zudem
bestanden seit 1941 Pläne, Juden für Baumaßnahmen im gesamten Warthegau ein-
zusetzen. Die dafür eingerichteten Arbeitslager, die sogenannten «Zwangsarbeitslager
für Juden» (ZAL), unterstanden zwar der DAF, doch behielt die Reichsstatthalterei
Posen, die Verwaltungszentrale des Reichsgaues, die Kontrolle über die Zwangsarbeit
und profitierte erheblich von ihr. Zwischen Herbst 1941 und Frühjahr 1943 bestanden
im Warthegau 160 ZAL, in denen rund 8000 Häftlinge Zwangsarbeit verrichteten. Sie
arbeiteten vor allem in Projekten zur Verbesserung der Infrastruktur, aber auch in der
Landwirtschaft und vereinzelt in Fabriken. Der Lageralltag variierte sehr stark, ebenso
auch die Größe der ZAL. Generell ist jedoch davon auszugehen, dass auch hier die Ver-
hältnisse katastrophal waren. Die schnell arbeitsunfähig gewordenen Häftlinge wurden
gegen neue Arbeitskräfte aus dem Ghetto Litzmannstadt/Łódź ausgetauscht, erschos-
sen oder nach Kulmhof deportiert. Dies geschah auch bei der Auflösung der ZAL im
Oktober 1943 : Die arbeitsfähigen Häftlinge brachte man ins Ghetto Litzmannstadt/
Łódź, die arbeitsunfähigen wurden sofort oder in Auschwitz ermordet.52
In Ostoberschlesien stellte sich die Situation ähnlich dar.53Auch dort zerschlugen
sich 1940 die Pläne, die einheimischen Juden ins Generalgouvernement abzuschie-
ben, sodass man auch hier wie im Warthegau vorübergehend einen Teil der jüdischen
Bevölkerung zur Zwangsarbeit heranzog. Treibende Kraft war dabei die SS. So ließ
Himmler 1940 eine eigene Behörde für den «fremdvölkischen Arbeitseinsatz in Ost-
oberschlesien» einrichten, die er dem Breslauer Polizeipräsidenten und SS-Oberführer
Albrecht Schmelt übertrug. Jüdische Arbeitskräfte mussten fortan der Schmelt-Behörde
gemeldet und ihr Arbeitseinsatz von dieser genehmigt werden. Die Behörde über-
nahm zudem die Entsendung jüdischer Arbeitskräfte auf die Baustellen der Reichs-
autobahnstrecke Breslau-Gleiwitz, die zuvor vom Arbeitsamt koordiniert worden war.
Schmelt entwickelte daraus ein
– im Sinne der SS lukratives und effektives
– System der
kollektiven Häftlingsvermietung, das dann auf andere öffentliche Bauträger und später
auch auf private Unternehmen ausgedehnt wurde. Bei der organisatorischen Umset-
zung des Zwangsarbeitseinsatzes stützte sich Schmelt auf die jüdischen Ältestenräte in
Ostoberschlesien. Die Arbeitskräfte, zunächst vor allem junge Männer, seit Ende 1941
51 Mario Wenzel : Zwangsarbeitslager für Juden in den besetzten polnischen und sowjetischen Gebieten,
in : Benz/Distel (Hg.), Ort des Terrors, Bd. 9, S. 125–154, hier 126. Die folgenden Zahlenangaben ebd.,
S. 127 f. , sowie Alberti, Verfolgung, S. 237–300. Nun auch : Mario Wenzel : Arbeitszwang und Judenmord.
Die Arbeitslager für Juden im Distrikt Krakau des Generalgouvernements 1939–1944, Berlin 2014.
52 Wenzel, Zwangsarbeiterlager, S. 128.
53 Vgl. zum Hintergrund Sybille Steinbacher : «Musterstadt» Auschwitz. Germanisierungspolitik und Ju-
denmord in Ostoberschlesien, München 2000 (Darstellungen und Quellen zur Geschichte von Ausch-
witz, 2). Das Folgende und die Zahlenangaben nach Andrea Rudorff : Das Lagersystem der «Organisation
Schmelt» in Schlesien, in : Benz/Distel (Hg.), Ort des Terrors, Bd. 9, S. 155–160.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen