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206 | Karin Orth
Die Ghettoinsassen wurden mit der Eisenbahn herangeschafft und nach der An-
kunft unter dem Vorwand einer Reinigungsprozedur gezwungen, sich zu entkleiden.
Anschließend trieb man sie in die Gaskammern, in die Kohlenmonoxid eingeleitet
wurde. Die Massenmorde in Bełżec begannen am 17. März 1942 und wurden im De-
zember 1942 gestoppt. Anschließend und bis Ende März 1943 wurden die Leichen
exhumiert und verbrannt. In Sobibór fand Mitte April 1942 eine Probevergasung statt,
bevor Anfang Mai 1942 die Deportationen begannen. In Treblinka erstreckte sich
das Töten von Juli 1942 bis August 1943. Mitte Oktober 1943 waren die Spuren ver-
wischt. Die Zahl der in den Vernichtungsstätten ermordeten Menschen wird auf insge-
samt 1,75 Millionen geschätzt, überwiegend Juden polnischer Nationalität : In Bełżec
brachte man schätzungsweise 440.000 Menschen um, vor allem polnische Juden und
etwa 30.000 Juden aus dem Deutschen Reich, Österreich und der Tschechoslowakei,
die aus Durchgangsghettos nach Bełżec gebracht worden waren. In Sobibór starben
schätzungsweise 150.000 bis 250.000 Menschen, vermutlich ausschließlich Juden. Die
überwiegende Mehrzahl war polnischer Nationalität, aber auch Holländer, Deutsche,
Franzosen, Tschechen, Slowaken und sowjetische Bürger waren unter den Getöteten.
In Treblinka kamen rund 900.000 Juden um, unter ihnen fast 330.000 aus dem War-
schauer Ghetto, und einige Tausend Sinti und Roma.
Auch zwei Konzentrationslager der IKL wurden seit 1942 als Vernichtungslager ge-
nutzt : das im Generalgouvernement gelegene KZ Majdanek und das in Ostoberschle-
sien gelegene KZ Auschwitz. Tomasz Kranz, der beste Kenner der Geschichte des Lagers
Majdanek, hat die unterschiedlichen Funktionen, die Majdanek erfüllen sollte, genau
beschrieben und das KZ als «multifunktionales Provisorium» charakterisiert.65 Ob-
wohl es der IKL unterstellt war, nahm gleichwohl Globocnik als zuständiger SSPF von
Beginn an starken Einfluss auf das Lagergeschehen. In der ersten Kriegsphase diente
Majdanek, das ja als Kriegsgefangenenlager für 100.000 sowjetische Soldaten geplant
gewesen war, de facto als Konzentrationslager. Die SS wies im Rahmen umfangreicher
Aussiedlungs- und Vergeltungsaktionen vor allem Juden und Polen aus der Region
Lublin sowie zahlreiche polnische Juden aus den Ghettos in Warschau und Białystok
in das KZ ein, sodass die Zahl der hier festgehaltenen Menschen 1942 auf etwa 10.000
anstieg. Im Herbst des gleichen Jahres begann die gezielte Ermordung jüdischer Häft-
linge durch Giftgas in einer eigens errichteten Gaskammer. Im Unterschied zu den
Vernichtungsstätten durchliefen die jüdischen Gefangenen zunächst eine «Selektion»,
in der etwa 30 Prozent vom sofortigen Tod ausgenommen und in Arbeitskommandos
überstellt wurden. Die Ermordung der jüdischen Häftlinge durch Gas erstreckte sich
von Herbst 1942 bis September 1943 und forderte 60.000 Opfer. Die Gesamtzahl der
Toten des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek schätzt Tomasz Kranz
65 Tomasz Kranz : Das KL Lublin – zwischen Planung und Realisierung, in : Herbert et al. (Hg.), Die natio-
nalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 1, S. 363–389, hier 381.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen