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222 | Christian Dürr und Ralf Lechner
Die am 3. September 1939 von Heydrich in einem geheimen Runderlass verlautbar-
ten «Grundsätze der inneren Staatssicherung während des Krieges» führten nicht nur
zu einer intensivierten Verfolgung der Gegner, sondern in den Konzentrationslagern
auch zu einer regelrechten Entfesselung der Gewalt. Den Richtlinien der Sicherheitspo-
lizei zufolge sollte die «brutale Liquidierung solcher Elemente erfolgen», welche «Ge-
schlossenheit und Kampfwillen des deutschen Volkes zu zersetzen» suchten.42 Unter
dem Terminus «Sonderbehandlung» schrieben diese Durchführungsbestimmungen
vor, dass entsprechend dem «psychologischen und politischen Fingerspitzengefühl»
der Gestapo-Mitarbeiter Personen wegen Sabotageversuchen, Wehrkraftzersetzung,
Hamsterei oder aktiver kommunistischer Betätigung in Konzentrationslagern exeku-
tiert werden sollten.43
Mit Kriegsbeginn stieg auch die Häftlingssterblichkeit in Mauthausen sprunghaft
an : Waren 1938 33 von insgesamt 1055 eingelieferten Häftlingen zu Tode gekommen,
so starben 1939 452 von insgesamt 2888 Häftlingen,44 davon 123 im Zeitraum von
Jänner bis Ende August und 329 oder rund 73 Prozent der Toten in diesem Jahr wäh-
rend des letzten Jahresdrittels.45 Im folgenden Jahr sollte die Zahl der Opfer um ein
Vielfaches ansteigen. Waren für das Jahr 1939 noch zwei auf offizielle Anordnung hin
erfolgte Exekutionen zu verzeichnen, so stieg deren Zahl im Jahr 1940 auf 138 an.46
Diese Entwicklung erfolgte analog zu den anderen Konzentrationslagern der IKL. Ne-
ben der «verschärften» Verfolgung der Gegner war die stark steigende Sterblichkeit
aber ebenso auf die verknappte Versorgung infolge des besonders strengen Winters
1939/40 zurückzuführen.47 Die extreme Ausprägung dieser Entwicklung im Stein-
bruch-KZ Mauthausen war auch dem besonders harten Terrorregime der SS unter der
Führung von Franz Ziereis zuzuschreiben.
42 Geheimer Runderlass Chef der Sicherheitspolizei an die Staatspolizei(leit)stellen, 3. 9. 1939, BArch,
R 58/243, Bl. 278–280.
43 Ergänzender Erlass Chef der Sipo und SD vom 20.
September 1939 zu den Richtlinien vom 3.
September,
BArch, R 58/243, Bl. 213 f.
44 Andreas Kranebitter : Zahlen als Zeugen. Soziologische Analysen zur Häftlingsgesellschaft des KZ Maut-
hausen, Wien 2014 (Mauthausen-Studien, 9), S. 236 f.
45 Metadatenbank, AMM. Zur Metadatenbank siehe Ralf Lechner : Die Namen der Toten. Quellen des Ge-
denkbuchs und die namentliche Erfassung der Deportierten des KZ Mauthausen, in : Verein für Geden-
ken und Geschichtsforschung in österreichischen KZ-Gedenkstätten (Hg.), Gedenkbuch für die Toten
des KZ Mauthausen und seiner Außenlager. Bd. 1 : Kommentare und Biographien, Wien 2016, S. 27–34
[im Weiteren zit. als : Gedenkbuch Mauthausen].
46 Auswertung Totenbuchdatenbank, AMM. Die Totenbuchdatenbank basiert auf den in den National Ar-
chives (NARA), College Park, MD, vorliegenden Totenbüchern der SS-Standortärzte Mauthausen und
Gusen sowie über die sowjetischen Kriegsgefangenen.
47 In den Wintermonaten war stets eine starke Zunahme der Todesfälle zu verzeichnen, im Winter 1939/40
ist ein besonders ausgeprägter Anstieg zu beobachten. Siehe Grafik
2 im Beitrag von Andreas Kranebitter
in diesem Band.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen