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226 | Christian Dürr und Ralf Lechner
Dafür war unter anderem der Einsatz von im Steinmetzhandwerk unerfahrenen und
dem Terror der SS ausgesetzten KZ-Häftlingen verantwortlich. Dagegen überstieg die
Produktion von wenig wertvollem Schotter die Produktionsziele bei weitem.60
Mit der Errichtung des Lagers Gusen ging auch eine grundlegende Veränderung
in der Zusammensetzung der Häftlingsgesellschaft einher. Nach Gusen wurden zu-
nächst vor allem politisch verfolgte Polen eingeliefert, die nach der Besetzung Polens
in das Deutsche Reich deportiert worden waren. Die ersten 448 waren am 9. März
1940 mit einem Transport von 1000 Häftlingen aus dem Konzentrationslager Buchen-
wald nach Mauthausen und von dort aus weiter nach Gusen deportiert worden.61 In
mehreren großen Transporten gelangten im Jahr 1940 aus den Konzentrationslagern
Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald sowie direkt aus Polen mehr als 8000 pol-
nische Deportierte nach Mauthausen. Die Mehrzahl überstellte die SS schließlich in
das Zweiglager Gusen, wo sie systematisch zugrunde gerichtet wurden. Dabei waren,
den Vorgaben Hitlers entsprechend, vor allem Intellektuelle von der gezielten Ermor-
dung betroffen.62 Mehr als die Hälfte der Todesfälle im Jahr 1940 betraf polnische De-
portierte, die in der überwiegenden Mehrzahl im KZ Gusen um ihr Leben gebracht
wurden.63 Der ehemalige Häftling Stanisław Dobosiewicz spricht dem KZ Gusen die
Funktion eines Vernichtungslagers für die polnische Intelligenz zu.64
Demselben Vernichtungsdruck waren zunächst auch die ehemaligen Spanienkämpfer,
republikanische Spanier und Mitglieder der Internationalen Brigaden, ausgesetzt. Begin-
nend mit dem 6. August 1940 wurden insgesamt rund 7200 republikanische Spanier und
Interbrigadisten aus verschiedenen Stalags
– in kleinerer Zahl auch Zivilpersonen aus dem
französischen Flüchtlingslager Angoulême – nach Mauthausen verschickt.65 Als ideolo-
60 Ebd., S. 632.
61 Transportliste vom 9. März 1940, IPN, KL Mauthausen 5, S. 48–75 ; vgl. auch Maršálek, Geschichte,
S. 138, sowie Interview mit Frantisek Popravka, AMM, V/3/8.
62 Die Ermordung der polnischen Intellektuellen war direkt von Hitler angeordnet worden : «Der Führer
betonte weiter, der Pole sei im Gegensatz zu unserem deutschen Arbeiter geradezu zu niedriger Arbeit
geboren[.] […] Noch einmal müsse der Führer betonen, dass es für die Polen nur einen Herren geben
dürfe und das sei der Deutsche ; zwei Herren nebeneinander könne es nicht geben und dürfe es nicht ge-
ben, daher seien alle Vertreter der polnischen Intelligenz umzubringen. Dies klinge hart, aber es sei nun
einmal das Lebensgesetz.» Tischgespräch in der Wohnung des Führers, Geheimer Aktenvermerk Martin
Bormann, 2. 10. 1940, IMT, Bd. 39, USSR–172 (Kopie AMM, AA/17/1).
63 Siehe die nachstehende Aufstellung über die Sterbefälle in Mauthausen und Gusen 1940–1942.
64 Vgl. Dobosiewicz, Vernichtungslager Gusen, S. 26. Während die Geschichte des Konzentrationslagers
Gusen im deutschen Sprachraum jahrzehntelang so gut wie nicht rezipiert wurde, erschienen vor allem
in Polen, aber auch in Italien und Frankreich zahlreiche Publikationen zu Gusen. Die 2007 erschienene
Übersetzung der bereits 1977 veröffentlichen Monografie des ehemaligen Gusener Häftlings Dobosie-
wicz aus dem Polnischen war die erste umfassende Publikation im deutschen Sprachraum.
65 Vgl. Christian Dürr : Vom Bürgerkrieg ins KZ. Die Deportationen republikanischer Spanier in das KZ
Mauthausen, in : Informationen. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand
1933–1945 83 (2016), S. 25–30. Insgesamt wurden mindestens 8700 Spanier in nationalsozialistische
Konzentrationslager deportiert, in überwiegender Mehrzahl nach Mauthausen und Gusen. Benito Ber-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen