Seite - 229 - in Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik, Band 1
Bild der Seite - 229 -
Text der Seite - 229 -
229Das
Konzentrationslager Mauthausen-Gusen 1938–1945 |
Kriegshälfte wurden zahlreiche jüdische Häftlinge von SS-Angehörigen «auf der Flucht
erschossen».79 Dabei handelte es sich de facto niemals um tatsächliche Fluchtversuche :
Die Häftlinge wurden in die Postenkette getrieben, um so einen Fluchtversuch vorzu-
täuschen. Desgleichen wurden Massenfluchten inszeniert, die der SS die Möglichkeit
zu Massenerschießungen gaben.80 Zahlreiche holländische Juden ereilte der «Freitod
durch Sprung in die Tiefe», bei dem die Häftlinge tatsächlich aber über die in zynischer
Weise «Fallschirmspringerwand» genannte Steinbruchkante gestoßen wurden.81 Zahl-
reich waren auch fingierte «Freitode» durch Ertrinken, durch Einwirkung von Stark-
strom oder durch Erhängen.82 Mauthausen war für die jüdischen Deportierten in den
Jahren 1940 bis 1942 ein «Vernichtungslager im wahrsten Sinn des Wortes»83.
Lagerstufe III und weitere Radikalisierung
In Mauthausen und Gusen war in dieser Phase die Sterblichkeit höher als in jedem an-
deren Konzentrationslager der IKL. Dieser Umstand fand seinen Niederschlag in einer
Einstufung der Konzentrationslager durch das RSHA : Als in dieser Einteilung das Sys-
tem der Konzentrationslager nicht mehr primär nach geografischen Gesichtspunkten
gegliedert wurde, sondern nach der Härte des Haftvollzugs, wurden Mauthausen und
Gusen sowie das KZ Groß-Rosen als einzige Lager in die höchste Stufe
III eingeteilt. In
diese Konzentrationslager sollten «schwerbelastete, insbesondere auch gleichzeitig kri-
minell vorbestrafte, ausgesprochen asoziale und daher kaum noch erziehbare Schutz-
häftlinge» eingeliefert werden.84 Eine spätere Einstufung aus dem Jahr 1942 weist das
Lager «Mauthausen, Nebenlager Gusen» als einziges Konzentrationslager der Stufe III
aus.85
79 Metadatenbank, AMM.
80 Ernst Martin : Aufstellung über die Art der Ermordungen im K.L. Mauthausen, Mauthausen, 8. 5. 1945,
AMM, M/1/2.
81 Ebd. Vgl. auch : Gregor Holzinger : «… da mordqualifizierende Umstände nicht hinreichend sicher nach-
gewiesen werden können …». Die juristische Verfolgung von Angehörigen der SS-Wachmannschaft des
Konzentrationslagers Mauthausen wegen «Erschießungen auf der Flucht», in : Jahrbuch Dokumentati-
onsarchiv des österreichischen Widerstandes (2014), S. 135–163.
82 Vgl. die Todesursachen im Totenbuch des SS-Standortarztes Mauthausen, AMM, Y/46.
83 Eckstein, Jews, S. 264.
84 Karin Orth datiert die «Einstufung der Konzentrationslager» auf den 2. 1. 1941, möglich sei aber auch der
28. 8. 1940 (System, S. 68) ; Nikolaus Wachsmann (KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Kon-
zentrationslager, München 2015, S. 252 f.) und Johannes Tuchel (Die Inspektion der Konzentrationslager
1938–1945. Das System des Terrors, Berlin 1994, S. 67) datieren sie auf 1940.
85 Abschrift eines Schreibens des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD in Lothringen, Metz,
19. August 1942, AMM, A/7/2 (Mikrofilmkopie aus den Arolsen Archives, Film 4).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen