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234 | Christian Dürr und Ralf Lechner
Sowjetische Kriegsgefangene
Im Herbst 1941 systematisierte die SS die serielle Vernichtung von politischen Geg-
nern in Mauthausen/Gusen weiter. Der zentral geplante Massenmord an sowjetischen
Kriegsgefangenen gab Anlass, Vorrichtungen zur mechanisierten Tötung von Häftlin-
gen im KZ Mauthausen zu installieren. Am 6.
Juni 1941 hatte das Oberkommando der
Wehrmacht den «Kommissarbefehl» erlassen, in dem mit dem Ziel der «Vernichtung
einer Weltanschauung» die Ermordung der «politischen Kommissare» der Roten Ar-
mee angeordnet wurde. Am 21. Juli legte Heydrich mit dem «Einsatzbefehl Nr. 9» fest,
dass die in Kriegsgefangenenlagern «ausgesonderten» Kommissare «unauffällig im
nächstgelegenen Konzentrationslager» zu exekutieren seien.103
Kurz darauf, Ende Juli oder Anfang August 1941, erläutert Eicke bei einer Bespre-
chung bei der IKL in Sachsenhausen rechtfertigend, dass Hitler die Erschießung von
sowjetischen Kommissaren und Parteigängern der KPdSU als Vergeltungsmaßnahme
befohlen habe. Bereits vor der Besprechung sei festgestanden, dass diese durch «Ge-
nickschüsse» zu eliminieren seien. Anfang September wurden die ersten sowjetischen
Kriegsgefangenen, ohne zuvor in die Registratur des Konzentrationslagers aufgenom-
men worden zu sein, in der Genickschussanlage in Sachsenhausen hingerichtet. Nach
dem Vorbild der «Aktion 14 f 13» wurden auch diese Morde, um bei den Opfern kein
Misstrauen aufkommen zu lassen, von den SS-Angehörigen als ärztliche Untersuchung
inszeniert.104
Nach «erfolgreicher» Erprobung der Mordmethode befahl Eicke Mitte September
1941 die Lagerkommandanten, SS-Führer und den Reichsarzt der SS zur Demonst-
ration der «Genickschussanlage» nach Sachsenhausen. Unter den Teilnehmern der
Vorführung befand sich auch der Kommandant des Konzentrationslagers Mauthausen,
Franz Ziereis. Die Genickschussmethode galt der SS zu diesem Zeitpunkt als «beste»
Art, seriell zu morden.105
Kurze Zeit nach der Vorführung der Genickschussanlage in Sachsenhausen – die
meisten Zeugenaussagen nennen als Zeitpunkt den Herbst 1941 – ließ die SS, analog
zu anderen Konzentrationslagern, im Stammlager Mauthausen einen Hinrichtungs-
raum mit einer Genickschussanlage und einem Galgen errichten.106 Die Errichtung
103 Zu den Einsatzbefehlen Nr. 8 und 9 vom 17. bzw. 21.
Juli 1941 vgl. Reinhard Otto : Wehrmacht, Gestapo
und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42, München 1998 (Schriftenreihe
der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 77).
104 Vgl. Orth, System, S. 125 f.
105 Siehe ebd., S. 128 f.; Protokoll der Vernehmung von Franz Ziereis, Gusen, 23. 5. 1945, AMM, P/18/2.
106 Bertrand Perz/Florian Freund : Tötungen durch Giftgas im Konzentrationslager Mauthausen, in : Gün-
ter Morsch et al. (Hg.), Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. Histo-
rische Bedeutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung, Berlin 2011 (Schriftenreihe der
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 29), S. 244–259. Möglicherweise bezieht sich der Eintrag im
Tätigkeitsbericht des Verwaltungsführers Mauthausen für den 8. Oktober 1941 über Himmlers Befehl
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen