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Konzentrationslager Mauthausen-Gusen 1938–1945 |
Krankheiten zugezogen hatten. Offensichtlich durften Häftlinge mit epidemischen
Krankheiten – bisher waren diese in der Regel durch Herzinjektionen ermordet wor-
den – nicht in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim transportiert werden. Laut Ernst
Martin kam der zwischen Mauthausen und Gusen pendelnde Gaswagen zum Einsatz,
wenn aus Berlin der Befehl erging, dass «keine Seuchenmeldungen mehr» erwünscht
seien. Bei den von Pierre Serge Choumoff nachgewiesenen Morden im Gaswagen am
14. und 15. Jänner 1943 ist im Totenbuch des SS-Standortarztes Gusen als Todesursa-
che «Lungen-TBC» eingetragen.125
Den Berechnungen von Pierre Serge Choumoff zufolge wurde eine Mindestzahl von
900 Häftlingen aus Mauthausen und Gusen im Gaswagen ermordet, dem Bericht des in
Mauthausen inhaftierten OSS-Agenten Lieutenant Jack H. Taylor zufolge wurden etwa
3300 Häftlinge auf diese Art getötet.126
Die Ermordung der Justizhäftlinge
Der Massenmord kulminierte in Mauthausen/Gusen im Jahr 1942. Mit dem seit
20. August 1942 amtierenden Justizminister Otto Thierack erzielte Heinrich Himm-
ler eine schon lange zuvor intendierte Einigung über die Auslieferung von Justizhäft-
lingen an die SS. Die Justizhäftlinge wurden als lästiger Ballast angesehen, der nach
dem Tod der «gesunden» Soldaten im Kriege die «arische Rasse» verderben würde.127
Im September 1942 einigten sich Thierack und Goebbels auf die «Auslieferung aso-
zialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch
Arbeit».128 Zunächst wurden alle Juden, Sinti und Roma, Russen und Ukrainer, Polen
mit einer Strafdauer von mehr als drei Jahren sowie «Sicherungsverwahrte» mit ne-
gativer sozialer Prognose an die Polizei übergeben ; darüber hinaus wurden deutsche
und tschechische Justizhäftlinge mit einer Strafe über acht Jahren von einer Kommis-
sion des Reichsjustizministeriums auf ihre «Asozialität» überprüft und nach positivem
Entscheid ebenfalls an die Polizei ausgeliefert. Die Polizei übergab diese Justizhäftlinge
als «SV»-Häftlinge an die Konzentrationslager.129 Von den 10.231 deutschen und pol-
125 Perz/Freund, Tötungen durch Giftgas, S. 257 f.; Choumoff, Nationalsozialistische Massentötungen,
S. 131–149, insb. 140 f., zu den «Transporten» vom 14. und 15. Jänner 1943.
126 Choumoff : Nationalsozialistische Massentötungen, S. 149 ; Perz/Freund, Tötungen durch Giftgas,
S. 257.
127 Wilhelm Dreßen : Konzentrationslager als Tötungs- und Hinrichtungsstätten für Oppositionelle, Be-
hinderte, Kriegsgefangene, in : Benz/Distel (Hg.), Ort des Terrors, Bd. 1, München 2005, S. 230–241,
hier 237 f.
128 Nikolaus Wachsmann : Zwischen Konflikt und Kooperation. Justiz, Polizei und Konzentrationslager im
Dritten Reich, in : Bundesministerium für Inneres (Hg.), Jahrbuch Mauthausen 2015. KZ-Gedenkstätte
Mauthausen | Mauthausen Memorial. Forschung – Dokumentation – Information, Wien 2016, S. 19–
34, hier 29 f.
129 Ebd., S. 30.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen