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240 | Christian Dürr und Ralf Lechner
nischen «SV»-Häftlingen, die zwischen 26. November 1942 und 16. Februar 1944 aus
den Justizanstalten nach Mauthausen/Gusen überstellt wurden, kamen im selben Zeit-
raum mehr als 6736 zu Tode.130 Mit der Tötung der Justizhäftlinge bei gleichzeitiger
Fortführung der Vernichtungsmaßnahmen gegen Polen, Spanier, Juden und Sowjet-
bürger erreichte die jährliche Mortalität 1942 mit 43,2 Prozent den höchsten Wert in
der Geschichte des KZ Mauthausen/Gusen.131
Der Arbeitseinsatz in der zweiten Kriegshälfte
Während die SS die Tötung der KZ-Häftlinge bis zur Kriegsmitte hin immer mehr ra-
tionalisierte, wurden auf Reichsebene gleichzeitig die Weichen für die Entwicklung
des KZ-Systems in eine Richtung gestellt, die dem massenhaften Verschleiß von Men-
schenleben entgegenstand. Bereits die Einlieferung der Polen ab 1940 und auch die
der «Arbeitsrussen» war unter dem Vorzeichen der Ausnutzung der Arbeitskraft von
«rassisch» und ideologisch Missliebigen für ökonomische Interessen des Reichs wie
auch insbesondere der SS gestanden. Unter dem Primat der politischen Zielsetzungen
seitens der SS offenbarte sich aber ein zentraler Konflikt innerhalb des KZ-Systems :
War angesichts des Arbeitskräftemangels zum einen eine Funktionsänderung hin zum
Häftlingseinsatz für wirtschaftliche Zwecke gewünscht, so wurden doch die dafür
eingelieferten Häftlingsgruppen in den Konzentrationslagern, in Mauthausen/Gusen
mehr noch als in den anderen, gezielt getötet.
Der Zielkonflikt zwischen ökonomischer und politischer Ausrichtung der Kon-
zentrationslager wurde in Mauthausen/Gusen besonders am Arbeitseinsatz in den
Steinbrüchen evident. Schon in der Gründungsphase hatte sich dieser Widerspruch
bei den SS-eigenen Wirtschaftsunternehmen abgezeichnet, indem etwa die DESt die
Zielsetzungen für die Werksteinproduktion nicht erfüllen konnte, da infolge des gegen
die Häftlinge ausgeübten Terrors zu wenige Steinbrucharbeiter zur Verfügung stan-
den. Die Produktion von Werksteinen konnte von 1940 bis 1942 zwar etwa um das
Dreifache auf ca. 3200 Kubikmeter gesteigert werden, sie belief sich damit aber auf ein
Achtel bis Zehntel des 1939 formulierten Programms.132 Schon im März 1940 hatte
sich etwa die Werksleitung der DESt beschwert, dass «der körperliche Zustand der
Häftlinge außergewöhnlich schlecht ist, so dass eine wirtschaftliche Ausnutzung der
Steinbruchbetriebe zur Zeit kaum möglich sein wird, falls dem Zustand nicht baldigst
abgeholfen wird». Im Sommer 1942 klagte sie erneut, dass die «Arbeitsleistung der
Häftlinge im Juli durch unzureichende Verpflegung sehr stark nachgelassen» habe.133
130 Aufstellung der Lagerschreibstube über Zu- und Abgänge von SV-Häftlingen, AMM, O/2/1.
131 Kranebitter, Zahlen als Zeugen (2014), S. 196 u. 236 f.
132 Kaienburg, Die Wirtschaft der SS, S. 631.
133 Ebd., S. 636 f.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen