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249Das
Konzentrationslager Mauthausen-Gusen 1938–1945 |
Baracke 20 mit einer Zwischenmauer davon abgetrennt.164 In dieser Baracke brachte
man ab Mai 1944 sowjetische Offiziere unter, die unter dem Codenamen «Kugel» in
das KZ Mauthausen transportiert worden waren, um sie dort im Verborgenen zu er-
morden.165
In der Nacht zum 2. Februar 1945 versuchten etwa 500 «Kugel»-Häftlinge einen für
nationalsozialistische Konzentrationslager bis dahin einzigartigen Massenausbruch
aus dem Block 20 ; 419 von ihnen soll es gelungen sein, die Lagermauer zu überwin-
den. Unmittelbar nach der Flucht leitete die SS eine Großfahndung ein, an der Ange-
hörige des SS-Kommandanturstabs, die Gendarmerie, Einheiten der Wehrmacht und
Hitlerjugend-Gruppen teilnahmen. Auch Angehörige des Volkssturms sowie Teile der
Bevölkerung beteiligten sich an der als «Mühlviertler Hasenjagd» bekannt gewordenen
Treibjagd. Die SS-Lagerleitung wies die Beamten der Gendarmerie an, niemanden le-
bend ins Lager zurückzubringen. Es gab kaum Überlebende dieser Hetzjagd.166
Die Phase der unterirdischen Verlagerungsprojekte
Die zunehmenden alliierten Bombenangriffe seit Sommer 1943, von denen auch zahl-
reiche bedeutende Industriebetriebe der «Ostmark» sowie mehrere Außenlager des KZ
Mauthausen betroffen waren,167 machten die Unterbringung der Rüstungsproduktion
an bombensicheren Standorten zu einem vorrangigen kriegsstrategischen Anliegen
der NS-Führung. Die besonders kräfteraubende und auszehrende Arbeit beim Bau
von unterirdischen Stollenanlagen mussten Häftlinge aus den Konzentrationslagern
leisten. Das erste große derartige Bauprojekt im Umfeld des KZ Mauthausen war die
Errichtung einer Stollenanlage in Ebensee unter dem Tarnnamen «Zement». Das Ziel
164 Bericht über die 1944 durchgeführten Baumaßnahmen des K.L. Mauthausen, Bauleitung der Waffen-
SS und Polizei Mauthausen, 25. Jänner 1945, BArch, NS 4/Ma (Kopie im AMM).
165 Matthias Kaltenbrunner : Flucht aus dem Todesblock. Der Massenausbruch sowjetischer Offiziere aus
dem Block 20 des KZ Mauthausen und die «Mühlviertler Hasenjagd». Hintergründe, Folgen, Aufar-
beitung, Innsbruck 2012 (Der Nationalsozialismus und seine Folgen, 5). Siehe auch die frühe Quel-
lensammlung von Peter Kammerstätter : Der Ausbruch der russischen Offiziere und Kommissare aus
dem Block
20 des Konzentrationslagers Mauthausen am 2. Februar 1945 (Die Mühlviertler Hasenjagd).
Materialsammlung, unveröff. Typoskript, Linz 1979.
166 Kaltenbrunner konnte acht Überlebende ermitteln und geht von fünf bis sieben weiteren Überlebenden
aus. Ebd., S. 167.
167 Zur alliierten Strategie der Combined Bomber Offensive siehe : Bertrand Perz : «Wir haben in der Nähe
von Linz unter Benutzung von KZ-Männern ein Vorhaben». Zur Genese des Projekts Bergkristall, in :
Bundesministerium für Inneres (Hg.), KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2009.
Forschung – Dokumentation – Information, Wien [2010], S. 55–76 hier 55 f. Am schwersten betroffen
waren die Lager Linz I (Bombenangriff am 25.
Juli 1944), Wiener Neustadt (mehrere Bombardierungen
im August 1944), Schwechat-Heidfeld (Angriffe seit Frühjahr 1944, die schwersten am 23. April und
am 13. Juli), Wiener Neudorf (mehrere Bombardierungen seit Frühsommer 1944, der schwerste am
26. Juli) und Melk (Bombenangriff am 8. Juli 1944).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen